Menschenrechtsbeauftragte stellt Flüchtlingsabkommen infrage

Menschenrechtsbeauftragte stellt Flüchtlingsabkommen infrage
Angesichts der Entwicklungen in der Türkei kritisiert Bärbel Kofler (SPD) die Vereinbarungen zwischen der EU und der Türkei.

Berlin (epd). "Das Abkommen setzt Rechtsstaatlichkeit auf allen Seiten voraus", sagte sie dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland" (Mittwochsausgaben). In der Türkei sei diese zurzeit aber nicht gegeben. Sprecher von Bundesregierung und Auswärtigem Amt betonten derweil, dass sie am Abkommen festhalten wollen, auch wenn es nicht perfekt sei.

Kofler sagte mit Blick auf die Welle von Verhaftungen und Entlassungen nach dem Putschversuch in der Türkei, es sei falsch, rechtsstaatliche Entscheidungen dorthin auszulagern. Das Abkommen müsse neu bewertet werden und könne nicht so fortgesetzt werden wie bisher. Die Beauftragte der Bundesregierung beklagte "verschwindend geringe" Zahlen von Syrern, die seit der Unterzeichnung des Abkommens im März legal aus der Türkei in die EU eingereist seien.

Andere Verfahren ins Auge fassen

Problematisch sei es zudem, Asylanträge in der Türkei zu stellen: "Wir wissen, dass die Bearbeitung der Asylanträge von Afghanen, Irakern und Iranern in der Türkei nicht nach rechtsstaatlichen Regeln erfolgt." Darüber könne die EU nicht einfach hinwegsehen. Die Bundesregierung müsse sich Gedanken machen über andere Asylverfahren. Möglich sei etwa ein Ausbau der deutschen Botschaften im Nahen und Mittleren Osten, wo Schutzsuchende ihren Asylantrag stellen könnten, sagte Kofler.

Der Sprecher des Auswärtigen Amts, Martin Schäfer, sagte in Berlin, es sei kein "perfektes Abkommen", und es gebe auch noch keine hundertprozentige Umsetzung. Im Grundsatz funktioniere die Vereinbarung aber. Zur Kritik von Kofler, deren Beauftragtenstelle zum Auswärtigen Amt gehört, sagte er, sein Eindruck sei, dass sich seit dem versuchten Putsch Mitte Juli die Lage der drei Millionen Flüchtlinge in der Türkei nicht verändert habe. In der Debatte um Rechtsstaatlichkeit gehe es um andere Bereiche.

Auch die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer bekräftigte, die Bundesregierung wolle an dem Abkommen festhalten. Es habe bereits dafür gesorgt, dass weniger Flüchtlinge die gefährliche Route über die Ägäis antreten und im Meer ertrinken. Das EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen gilt seit dem 18. März. Seit Anfang April können Flüchtlinge aus Griechenland in die Türkei abgeschoben werden. In der Praxis stockt die Umsetzung aber unter anderem wegen der schleppenden Bearbeitung der Asylanträge in Griechenland. Bis Mitte Juli wurden erst 468 Flüchtlinge zurückgeschickt.

Bundesregierung reagiert gelassen

Im Gegenzug zur Rücknahme der Flüchtlinge wurde der Türkei eine Beschleunigung der Verhandlungen über Visa-Liberalisierungen versprochen. Da nach dem Putschversuch in der Türkei aber offen ist, ob und wann die Türkei alle Kriterien dafür erfüllt, ist ein Zeitpunkt dafür momentan nicht absehbar. Anfang der Woche drohte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu mit einer Aufkündigung des Flüchtlingsabkommens, sollte die Visa-Freiheit nicht bis Oktober umgesetzt sein. Die Äußerung wurde parteiübergreifend in Berlin und Brüssel zurückgewiesen, auch die Bundesregierung zeigte sich zunächst unbeeindruckt.