"horizonte"-Frontmann Meinhard Schmidt-Degenhard hört auf

Foto: HR/Mario Hornitschek
"horizonte"-Frontmann Meinhard Schmidt-Degenhard hört auf
"horizonte"-Frontmann Meinhard Schmidt-Degenhard hört auf
Meinhard Schmidt-Degenhard hat 30 Jahre lang im Hessen-Fernsehen versucht zu erklären, wie Gläubige ticken. Auch nach seinem Abschied vom Bildschirm will er davon nicht lassen.
29.07.2016
epd
Dieter Schneberger

Über Jahrzehnte war Meinhard Schmidt-Degenhard das Hirn und das Gesicht des Magazins "horizonte" im Hessen-Fernsehen. Als Moderator stand er rund 1.300 Mal vor der Kamera, um mit Kardinälen und Kirchenpräsidenten, Zen-Meistern und Muezzinen, Nonnen und Nanowissenschaftlern über Gott und die Welt zu diskutieren. Morgen (30. Juli) wird seine letzte Sendung ausgestrahlt. Zwei Monate später geht der Diplom-Theologe knapp 60-jährig in Altersteilzeit.

"Man muss aufhören, wenn es am schönsten ist", sagt der scheidende Leiter der Redaktion "Politik und Gesellschaft" im Hessischen Rundfunk (HR). Er werde künftig als freier Moderator, Coach und Interviewtrainer arbeiten, aber auch seinem "Lebensthema Religion" treu bleiben. Seinem Sender sei er herzlich dankbar für die vielen 30-Minuten-Gespräche über Glaube und Religion, über den Sinn des Lebens und das, was danach kommt. "Wo gibt es das heute noch im deutschen Fernsehen?"

Unabhängiger Geist

"Religion ist für mich ein politisches, gesellschaftliches und philosophisches Phänomen", betont der Fernsehjournalist. "Wenn man nicht weiß, was die Menschen zu ihrer Religion und zu ihrem Gott erklärt haben, kann man auch nicht verstehen, was auf diesem Planeten abläuft."

Schmidt-Degenhard ist ein unabhängiger Geist, der sich nicht gerne vereinnahmen lässt - weder von kirchlichen Würdenträgern noch von muslimischen Verbandsvertretern. "Eine gewisse Distanz halten zu den Gesprächspartnern, aber auch zu den Institutionen ist nicht verkehrt." Da passt es auch ins Bild, dass der hartnäckige Frager und entschiedene Nachhaker seit 1988 keiner Kirche mehr angehört.

Einsamer Rekordhalter

Der in einer katholischen Familie aufgewachsene Schmidt-Degenhard studierte an der katholischen Hochschule St. Georgen, der Goethe-Universität in Frankfurt am Main sowie an der Universität Utrecht/Niederlande Theologie, Philosophie, Soziologie und Pädagogik. Nach seinem Volontariat beim HR und einem Abstecher zum Magazin "Buten & Binnen" von Radio Bremen verantwortet er "horizonte" seit 1986.

Schmidt-Degenhard ist nach Carl Bringer, der das Magazin am 2. Februar 1975 aus der Taufe hob, nach Norbert Schneider und Susanne Müller-Hanft der vierte Moderator und mit den mehr als 1.000 Sendungen der einsame Rekordhalter - und das nicht nur im Hessen-Fernsehen. "'horizonte' ist nach unseren Recherchen das älteste kontinuierliche journalistische Programm im deutschen Fernsehen zum Themenfeld Religion, Kirche, Gesellschaft überhaupt", ist sich der Redaktionsleiter sicher.

Derzeit existiert die Sendung in zwei Formaten: samstags werden unter dem Titel "horizonte" Features, Magazinbeiträge und Diskussionen ausgestrahlt. Sonntags hat "horizonte" das Format einer Gesprächsrunde. Die durchschnittliche Einschaltquote liegt zwischen fünf und sechs Prozent, was 60.000 bis 80.000 Zuschauern entspricht.

Solidarität für Schmidt-Degenhard

Besonders gern erinnert sich Schmidt-Degenhard an eine 80-minütige Live-Sendung aus Eisenach kurz nach dem Mauerfall 1989, als seine beiden Gäste, die evangelische Theologin Dorothee Sölle und der Kabarettist Matthias Beltz, von dem "Wir sind ein Volk"-Chor der Montagsdemonstranten übertönt wurden und ihre Reden abbrechen mussten. "Da habe ich kapiert, welche Kulturbrüche zwischen Ost und West existierten." Sehr speziell sei auch eine Sendung 1992 mit Michail Gorbatschow gewesen. "Er hat minutenlang über Moral monologisiert und mich brüsk unterbrochen, wann immer ich dazwischengehen wollte", sagt der Fernsehmann und lacht.

Selbstredend gab es in der 40-jährigen Geschichte von "horizonte" auch Versuche, von außen auf die Inhalte der Sendung Einfluss zu nehmen. So etwa 1987, als der damalige Fuldaer Erzbischof Johannes Dyba im Bistumsblatt "Bonifatiusbote" das Magazin als "unsägliche Show" bezeichnete, "in der ein aus Bremen importierter Moderator vornehmlich Hexen, Huren und Schwule als Horizonte der Kirche" präsentiere. Dabei bezog sich der schäumende Kirchenhierarch auf einen Beitrag des Gescholtenen im epd-Fachdienst "Kirche und Rundfunk", in dem es um den Themenmix in der Sendung und den kirchlichen Lobbyismus ging.

Die Sache endete gut für Schmidt-Degenhard. 30 Redakteurinnen und Redakteure der ARD-Kirchenredaktionen erklärten sich mit ihm solidarisch und verwahrten sich in einem Brief an Dyba gegen dessen Medienschelte und den Versuch, "die Zügel anzuziehen". "Auch der damalige HR-Intendant Hartwig Kelm wies die Kritik an unserer Berichterstattung deutlich zurück", erinnert sich Schmidt-Degenhard. "Nachdem sich die Wogen geglättet hatten, war Erzbischof Dyba übrigens dann noch mehrmals Gast in unserer Sendung."

Was nach dem Abgang ihres Frontmannes mit der Sendung und dem Team um seinen Vize Ilyas Mec passiert, steht noch in den Sternen. Das entscheide sein Nachfolger Philipp Engel, der am 1. August die Redaktionsleitung übernimmt, stellt Schmidt-Degenhard klar. Auf jeden Fall werde das Interesse an den Themen bleiben.