Sportsoziologe: Jubel für multiethnische Mannschaften nicht nachhaltig

Fußballfans feiern die deutsche Nationalmannschaft beim Public Viewing in der Innenstadt von Frankfurt am Main.
Foto: dpa/Boris Roessler
Fußballfans feiern die deutsche Nationalmannschaft beim Public Viewing in der Innenstadt von Frankfurt am Main (Archiv).
Sportsoziologe: Jubel für multiethnische Mannschaften nicht nachhaltig
Wenn Fußballfans die Erfolge von multikulturellen Mannschaften feiern, heißt das nach Einschätzung von Gesellschaftswissenschaftlern noch nicht, dass sie auch im Alltag multikulturell leben wollen.

"Die gesellschaftliche Langzeitwirkung von fußballerischen Erfolgen multiethnischer Teams ist gering", sagte der Freiburger Sportsoziologe Diethelm Blecking dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Es wird mit zweierlei Maß gemessen."

Wenn Gesellschaften in der Krise wie derzeit die deutsche sich entschieden, "nach rechts zu marschieren und sich gegen Migranten und Minderheiten aufzustellen, dann kann der Sport eine solche pathologische Entwicklung alleine nicht aufhalten", sagte Blecking kurz vor dem Beginn der Fußball-Europameisterschaft am Freitag in Frankreich.

So sei im Jahr 2010 die zu 47 Prozent migrantische deutsche Mannschaft nach der Weltmeisterschaft in Südafrika für ihren "leichtfüßigen und völlig undeutschen Fußball" bejubelt worden, sagte Blecking, der am Institut für Sport und Sportwissenschaft der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg lehrt. Wenige Wochen später sei das Buch "Deutschland schafft sich ab" von Thilo Sarrazin auf den Markt gekommen, in dem er sich "an der Grenze des Rassismus bewegt". Schon rein statistisch müsse es "eine Schnittmenge geben zwischen denen, die die Mannschaft bejubelt haben, und denen, die Sarrazin bejubelt haben".



Dabei sei der Fußball an sich "parteipolitisch neutral", sagte Blecking. Es komme darauf an, wie er sich aufstelle. Für den Fußball in Deutschland sei er immer noch "recht optimistisch". Vor der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland habe der Deutsche Fußball-Bund (DFB) sich zum Beispiel mit seiner eigenen NS-Geschichte auseinandergesetzt und ein großes Schulungsprogramm entworfen, "das die Netze auch nach Kindern aus der Einwanderungsgesellschaft ausgeworfen hat". Und heute manage der DFB die Anforderungen der vielfältigen Teams klug, lasse sich von Wissenschaftlern beraten und spreche nicht mehr von "Integration" sondern von "diversity", also Vielfalt. "Wenn ein so großer Verband das macht, dann ist das nicht schlecht."

Von all dem profitiert nach Ansicht des Sportsoziologen auch der Sport selbst. "Ethnisch gemischte Teams funktionieren besser", zitierte er den deutschen Vereinstrainer Mirko Slomka. Wenn es Trainern gelinge, zum Beispiel Bewegungstechniken unterschiedlicher Spieler aus unterschiedlichen Kulturen als Reichtum zu begreifen, "dann kommt was Besseres heraus". Das zeige sich auch daran, dass mehr als 60 Prozent der Profis in der deutschen Bundesliga keinen deutschen Pass hätten. Wenn es also mit gemischten Teams nicht besser klappen würde, würden die Vereine die Spieler nicht einkaufen, sagte Blecking, "denn Fußball ist ein absolut erfolgsorientiertes System".