TV-Tipp: "Nacht der Angst" (ZDF)

TV-Tipp: "Nacht der Angst" (ZDF)
Der Prozess machte bundesweit Schlagzeilen und versetzte einen ganzen Berufsstand in Unsicherheit: 2008 wollten werdende Eltern gegen den Rat der Ärzte ihr Kind mit Hilfe einer Hebamme zuhause zur Welt bringen. Es kam zu Problemen, das Kind starb. Vier Jahre später musste sich die Hebamme wegen Totschlags vor dem Dortmunder Landgericht verantworten.

Das war ein Präzedenzfall; in ähnlichen Fällen war es zu Anklagen wegen fahrlässiger Tötung gekommen. Die Staatsanwaltschaft war jedoch der Meinung, die Hebamme habe den Tod des Kindes "billigend in Kauf genommen", um ihr Konzept einer Hausgeburt durchzuziehen. Nach zwei Prozessjahren erging das Urteil: Totschlag mit bedingtem Vorsatz. Die Frau wurde zu über sechs Jahren Gefängnis sowie zu Schadenersatz- und Schmerzensgeldzahlungen verurteilt, außerdem bekam sie Berufsverbot.

Man muss diesen Hintergrund nicht kennen, zumal Regisseurin Gabriela Zerhau in ihrem Drehbuch mehrere Fälle berücksichtigt hat; "Nacht der Angst" ist auch ohne dieses Wissen ein fesselndes, ausgezeichnet gespieltes Drama, das schon allein durch seine geschickte Dramaturgie für erhebliche Spannung sorgt. Doch der Fall gibt dem Film natürlich eine besondere Tragweite, denn er führt vor Augen, was viele freie Hebammen bei verschiedenen Prozessen dieser Art in den letzten Jahren empfunden haben: Vor Gericht steht in dem Film nicht allein die von Nina Kunzendorf mit großer Empathie verkörperte Geburtshelferin, sondern alle Hebammen, die für natürliche Geburten außerhalb von Krankenhäusern plädieren.

Zerhau erzählt die Vorgeschichte in Form von Rückblenden. Der Prozess bildet die Rahmenhandlung, wobei lange offen bleibt, was in jener Nacht wirklich passiert ist. Aber schon der Einstieg schürt die Neugier: Der Film beginnt hektisch und lautstark mit der Fahrt ins Krankenhaus, dann zeigt Zerhau den sanften Alltag und die vertrauensvolle Atmosphäre im Geburtshaus, bevor sie in die Gegenwart der Gerichtsverhandlung wechselt. Die Richterin erteilt dem Staatsanwalt das Wort, doch bevor der die Anklage verlesen kann, kommt ihm die Rückblende zuvor: Die junge Mutter Sesha (Friederike Becht) und die erfahrene Hebamme Emma (Kunzendorf) sind Freundinnen geworden. Sesha ist erneut schwanger und erwartet Zwillinge, die sie ebenfalls in Emmas Geburtshaus zur Welt bringen will, doch die Hebamme lässt dort aus Prinzip keine Mehrlingsgeburten zu.

Wechsel zwischen Rückblende und Prozess

Geschickt wechselt Zerhau fortan zwischen Rückblende und Prozess hin und her, was zur Folge hat, dass sich die beiden Ebenen vortrefflich ergänzen. Nun wird auch klar, warum die Hebammen den Dortmunder Prozess als Hexenjagd verurteilten: Süffisant zählt der von Johann von Bülow unangenehm glaubwürdig verkörperte Staatsanwalt die unter Hebammen gängigen alternativen Heilmethoden auf, die aus Sicht vieler Schulmediziner an Quacksalberei grenzen. Gerade auch dank der ausgezeichnet geführten Schauspieler nimmt Zerhau die Zuschauer immer mit, obwohl der Austausch der Argumente für und gegen natürliche Geburten sehr spezifisch und faktenreich ist. Entsprechend wichtig war es, die juristischen Rollen markant zu besetzen (Peter Lerchbaumer als Vertreter der Nebenkläger, Adriana Altaras als Richterin, Susanne Wuest als Verteidigerin). Und so treibt Zerhau beide Ebenen ihrem jeweiligen Höhepunkt entgegen: hier die Nacht, in der Sesha erst ein gesundes Mädchen zur Welt und später einen Jungen gebiert, der schwerstbehindert sein wird; dort der Prozess, der auf ein unausweichliches Urteil zusteuert, weil die von Mann und Schwiegermutter unter Druck gesetzte Sesha die Aussage verweigert.

Wenn "Nacht der Angst" überhaupt eine Schwäche hat, dann ist das die etwas zu offenkundige Aufteilung der handelnden Personen in Gut und Böse. Früh wird deutlich, dass beispielsweise Emmas Mitarbeiterin Anja (Karolina Lodyga) weitaus weniger idealistisch ist als ihre Chefin; Emmas Motive deutet sie kurzerhand in Geltungssucht um. Ähnlich eindimensional muss Eleonore Weisgerber die Mutter von Seshas Mann (Marcus Mittermeier) verkörpern. Die Frau ist eine typische Filmschwiegermutter und bringt ihren Sohn sogar dazu, vor Gericht zu lügen. Emma selbst ist dank Kunzendorfs Spiel sowie kleinerer Konflikte mit Mann und Tochter als Figur ungleich differenzierter. Trotzdem sind die Schauspieler ausgezeichnet geführt. Ähnlich bemerkenswert sind die Bildgestaltung (Carl-Friedrich Koschnick) und vor allem die Musik von Fabian Römer, die immer wieder sehr schön die Stimmungen aufnimmt und dafür sorgt, dass der Film phasenweise fesselnd wie ein Thriller ist.