Mit Rock und Hut hinterm Steuer

epd-bild/Catherine Wenk
Indianische Frauen in Bolivien erobern immer mehr Berufe: Mercedes Quispe ist Busfahrerin in La Paz, der Hauptstadt von Bolivien.
Mit Rock und Hut hinterm Steuer
Indianische Frauen in Bolivien
erobern immer mehr Berufe
Bus fahren, Urteile fällen, Ministerien leiten: Indianische Frauen haben in Bolivien seit einigen Jahren deutlich mehr Möglichkeiten. Das liegt auch an Präsident Evo Morales. Doch die Realität hinkt oftmals den Gesetzen hinterher.

La Paz (epd)Mercedes Quispe lenkt den Bus gekonnt durch den dichten Verkehr von La Paz. Mit dem ausladenden Rock und ihrem Hut ist sie eine imposante Erscheinung hinter dem Steuer des großen Fahrzeugs. Quispe ist eine Cholita, eine traditionell gekleidete bolivianische Indianerin. Seit etwas mehr als einem Jahr arbeitet die 41-Jährige für die städtischen Verkehrsbetriebe - bis vor nicht allzu langer Zeit noch undenkbar. Doch seit Evo Morales das Land regiert, haben Frauen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Insgesamt Lage verbessert

Auch das Selbstbewusstsein der Urbevölkerung ist seit Morales' Amtsantritt 2006 deutlich gestiegen. Der ehemalige Kokabauer ist der erste indianische Präsident des Landes. "Ich trage diese Kleidung schon immer und habe nie daran gedacht, das zu ändern", sagt Quispe über die Pollera, den weiten Überrock mit zahlreichen Unterröcken, und dem Hut in Form einer klassischen Melone. "Das ist meine Kultur."

Frauenrechtlerin Sandra Aliaga erläutert den gesellschaftlichen Wandel: "Früher haben indigene Frauen nicht einmal davon geträumt, einen Wert zu haben", sagt die Journalistin. "Heute sehen die Frauen Evo Morales und denken: Er ist wie wir. Also kann ich auch Präsidentin oder Gouverneurin oder Bürgermeisterin werden." Es war eine Sensation, als Remedios Loza 1989 als erste Cholita ins Parlament einzog. Mittlerweile gehören indianische Frauen im Parlament dazu, ebenso wie als Ministerinnen, Richterinnen und in anderen früher undenkbaren Positionen.

Insgesamt hat sich die Lage für die bolivianischen Frauen verbessert. Bei den diesjährigen Regionalwahlen waren 44,5 Prozent der Kandidaten weiblich. 8,5 Prozent aller Bürgermeisterämter sind mittlerweile von Frauen besetzt. Und auch die rechtliche Situation von Frauen wurde gestärkt. So schreibt die neue Verfassung vor, dass die Arbeit im Haushalt, die in Bolivien fast ausschließlich von Frauen erledigt wird, wertgeschätzt und finanziell anerkannt werden soll. Zudem wurden Gesetze gegen Gewalt gegen Frauen und gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz erlassen.

Allerdings sind die Gesetze an einigen Stellen den tief verwurzelten patriarchalen Strukturen voraus. "Es ist einfacher ein Gesetz als eine ganze Gesellschaft zu ändern" sagt Aktivistin Aliaga. So gebe es noch immer Richter, die bei Vergewaltigungen die Schuld bei der Frau und der Kürze ihres Rocks sähen. "Die Regierung muss dafür sorgen, dass die Gesetze im Alltag umgesetzt werden", betont Aliaga. "Sie muss mit der Gesellschaft arbeiten, denn es sind ihre verschiedenen Mitglieder, die das Gesetz letztlich anwenden und dafür sorgen, dass es funktioniert."

Selbstorganisation der Frauen

Denn auch heute noch arbeitet die Mehrheit der Frauen in Bolivien unter unzumutbaren Bedingungen. "70 Prozent der ökonomischen Aktivitäten von Frauen finden im informellen Sektor statt", sagt Maria Esther Ibañez von der Frauenrechtsorganisation "Gregoria Apaza". Der informelle Sektor, das sind die unzähligen Blechhütten, an denen von Zeitungen und Zigaretten bis hin zu Essen fast alles verkauft wird. Tausende von Ein-Mann- oder Eine-Frau-Betrieben sind charakteristisch für die bolivianische Wirtschaft. Die Menschen haben keine Krankenversicherung und keine Rente. Zwölf-Stunden-Tage sind eher die Regel als die Ausnahme.

Ökonomisch definiert sich der Sektor dadurch, dass die dort Beschäftigten über ein Jahreseinkommen von weniger als 12.000 Bolivianos, umgerechnet rund 1.500 Euro, verfügen. Das ist auch in Bolivien deutlich zu wenig, um würdevoll zu leben. Menschenrechtler kritisieren die Verhältnisse seit Jahren. "Der Staat muss Frauen im informellen Sektor finanziell unterstützen", fordert Graciela López, Leiterin des Frauen-Netzwerks "Remte".

Warum sich in diesem Bereich so wenig tut, ist unklar. Das Arbeitsministerium antwortet nicht auf Anfragen. Dennoch gibt es Verbesserungen, doch die kommen von den Betroffenen selbst. "Die Frauen im informellen Sektor organisieren sich heute viel stärker", erläutert López. "Sie gründen ihre eigenen Gewerkschaften und kämpfen für ihre Rechte."

Mercedes Quispe startet den Motor des Busses. Ein letzter Blick in den Seitenspiegel, ein letzter Satz an die Reporterin: "Wir Frauen dürfen keine Angst und keine Scham haben. Wir können unsere Träume verwirklichen."