«Es gibt eine reale Verunsicherung»

epd-bild / Matthias Schumann
Die "Pegida"-Bewegung zeichnet nicht nur eine Abwehr gegen Flüchtlinge aus, sondern auch die Angst vor einer zunehmenden Modernisierung der Gesellschaft.
«Es gibt eine reale Verunsicherung»
Wissenschaftler erläutern
psychologische Mechanismen bei Asylgegnern
Die Richtung in der Debatte um den hohen Zuzug von Flüchtlingen ist schnell gekippt. Gründe dafür sind laut Experten reale Sorgen, aber auch autoritäre Aggressionen, die in der Psyche von Asylgegnern begründet sind.

Frankfurt a.M., Leipzig (epd)Die "Alternative für Deutschland (AfD) und die "Pegida"-Bewegung erfahren unverändert viel Unterstützung aus der Bevölkerung. Vor allem im Internet brodelt der Hass gegen Asylbewerber und deren Unterstützer. "Es ist nicht nur eine Abwehr gegen Flüchtlinge, sondern die Angst vor einer zunehmenden Modernisierung der Gesellschaft, die dann nicht mehr auf Prinzipen wie gleicher Sprache oder gleicher Geschichte beruht", sagt Rolf Haubl, stellvertretender Geschäftsführer des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt am Main. Diesen Wandel könnten viele für sich nicht mehr bewältigen.

Sich selbst überhöhen

"Fremdenfeindlichkeit entsteht dann, wenn man selbst Minderwertigkeitsgefühle in sich trägt", erläutert der Psychiater und Autor Hans-Joachim Maaz. Narzissten hätten die Erfahrung verinnerlicht, dass ihr Wille nicht zähle, "weil bereits ihre Eltern ihnen vorgegeben haben, in welche Richtung sie sich entwickeln müssen". Und: "Man möchte immer einen haben, der noch unter einem steht", sagt er.

In diese Richtung wiesen auch die "Wir sind das Volk"-Rufe auf den Demonstrationen der Asylgegner, analysiert Maaz: "Das sind Behauptungen, um sich selbst zu überhöhen." Zwar sei im vergangenen Jahr die Ausländerfeindlichkeit insgesamt in der Gesellschaft weniger geworden, sagt der Psychologe Oliver Decker von der Universität Leipzig. Der Blick auf bestimmte Gruppen wie Asylbewerber, Obdachlose, Muslime oder Sinti und Roma werde aber zusehends unfreundlicher.

"Es kommt eine soziale Normverschiebung zum Tragen", erläutert er. Migranten würden zunehmend unter Nützlichkeitserwägungen differenziert. "Wer angeblich nichts bringt, zieht die autoritären Aggressionen auf sich", sagt Decker.

Reale Verunsicherung

Die Psychologen warnen jedoch davor, Narzissmus als alleinige Ursache für den Zulauf asylfeindlicher Gruppen zu verstehen. Neben einer kleinen Gruppe, die für eine Willkommenskultur eintrete und einer noch kleineren, die dagegen sei, sehe er bei der Mehrheit der Bevölkerung eine "sorgenvolle Einstellung, die nicht in ein Lager gehört", sagt Maaz: "Es gibt auch eine reale Verunsicherung."

"Das Problem ist, dass sich an die Spitze der Menschen, die Angst haben, mittlerweile Rechtsradikale gesetzt haben", bedauert Haubl. "Man muss den Bürgern klarmachen, dass sie sich nicht missbrauchen lassen dürfen." Gleichzeitig müsse man da, wo man auf Hass und Rassismus treffe, mit Fakten gegenhalten. Argumentativ sei der rechte Rand schwach, sagt Haubl. "Bestimmte Argumente werden systematisch ausgeblendet", wundert er sich - so tue man etwa so, als sei Zuwanderung gleichbedeutend mit einer wirtschaftlichen Belastung. "Dabei gibt es viele Studien, die das widerlegen. Das ist ein eigentümlicher Widerspruch."

Sein Kollege Decker spricht von einer "Fantasie, Migranten würden das nationale Wirtschaftswachstum bedrohen". Zum Beispiel belegt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung von 2014, dass 2012 jeder Ausländer im Schnitt rund 3.300 Euro mehr in die öffentlichen Haushalte einzahlte, als er an individuellen Transfers erhielt.

Kurzfristig koste der hohe Zuzug von Flüchtlingen jedoch Geld, und diesen unangenehmen Aspekt müsse die Politik ehrlich benennen, fordert Maaz: "Dass wegen der hohen Zahl von Asylbewerbern keine Steuern erhöht werden müssen, glaubt doch kein Mensch." Er hält eine offene Diskussion über die Ursachen von Flucht für notwendig.

Asylgegener nicht abwerten

Für einen Dialog sei es besonders wichtig, Asylgegner nicht abzuwerten und sie nicht zu beschimpfen, sagen sowohl Maaz als auch Haubl. "Wenn man 'Pegida' und die AfD als rechtsextrem bezeichnet, ist damit noch kein Problem gelöst", merkt Maaz an. Ein Dialog dürfe auch nicht in der Masse stattfinden, "in der man seine individuelle Verantwortung abgeben kann", betont Haubl. "Man muss auf die Ebene jenseits der Parolen kommen." Da manche Asylgegner aber trotz aller widersprechenden Argumente an ihren Überzeugungen festhalten wollten, müsse man es wohl aushalten, auch einmal angeschrien zu werden.