Bomben auf Stadtviertel und Busbahnhöfe

epd-bild/Charlotte Morgenthal
Vor den IS-Milizen geflohene Jesiden haben im Nordirak Zuflucht gefunden (Archivbild). Für Carla del Ponte, ebenfalls Mitglied der UN-Kommission, hat die Verfolgung der Jesiden die Dimension eines Völkermords angenommen.
Bomben auf Stadtviertel und Busbahnhöfe
UN-Kommission beklagt massive Gewalt gegen Zivilisten in Syrien
Öffentliche Hinrichtungen, Vergewaltigungen und Verschleppungen: UN-Experten beschuldigen Regierung und Rebellen in Syrien, die Angriffe auf die Bevölkerung noch zu verstärken. Die Juristin del Ponte wertet die Verfolgung der Jesiden als Völkermord.
03.09.2015
epd
Marc Engelhardt (epd)

Genf (epd)Frust und Ärger überwältigen Sérgio Paulo Pinheiro. Vor vier Jahren hat der UN-Menschenrechtsrat eine Untersuchungskommission zu Syrien unter seiner Leitung eingerichtet, und seitdem wird die Lage in dem zerrissenen Land immer schlimmer. "Die Internationale Gemeinschaft tut nichts, während fast die Hälfte der syrischen Bevölkerung auf der Flucht ist", klagte Pinheiro am Donnerstag in Genf. Im fünften Jahr des Bürgerkriegs in Syrien sei das Leid der Zivilbevölkerung nicht nur unvorstellbar - die Gewalt gegen Zivilisten nehme sogar noch weiter zu.

Angriffe gegen Zivilisten von Opposition und Armee

Angriffe gegen Zivilisten seien fester Bestandteil der Militäroperationen sowohl der syrischen Armee als auch der bewaffneten Opposition, heißt es in dem von Pinheiro vorgestellten zehnten Bericht zur Lage in Syrien. Keine Seite halte sich an humanitäres Völkerrecht. So habe die syrische Luftwaffe zuletzt Stadtteile von Aleppo, Damaskus, Idlib, Daraa und Deir al-Sor großflächig bombardiert und zivile Opfer in Kauf genommen. Oft würden sogar gezielt Märkte oder andere Versammlungsorte ins Visier genommen: so etwa im Mai, als Hubschrauber des Assad-Regimes geächtete Streubomben über einem Markt im Norden Aleppos abwarfen.

Auch die Aufständischen bombardieren dem Bericht zufolge willkürlich ganze Stadtteile. Bestimmte Gruppen von Zivilisten werden zudem gezielt verfolgt. Regierungstruppen wiederum verhafteten willkürlich Männer im waffenfähigen Alter unter dem Vorwurf, der Opposition anzugehören. Viele der Männer verschwänden dann einfach.

Oppositionelle Milizen dagegen nähmen Geiseln, um Geld oder Gefangene zu erpressen. Mediziner und Menschenrechtler würden ebenso verfolgt wie Journalisten und Akademiker. Von Belagerungsringen eingeschlossene Menschen würden Wasser und Nahrungsmittel vorenthalten, um sie auszuhungern.

Besondere Brutalität

Terroristische Gruppen wie die Al-Nusra-Front oder der "Islamische Staat" zeichneten sich durch besondere Brutalität in den von ihnen kontrollierten Gebieten aus. Dazu gehörten öffentliche Hinrichtungen, Vergewaltigungen und die Versklavung von Frauen. Religiöse Minderheiten seien davon besonders betroffen. "Tausende jesidische Frauen werden bis heute als Sexsklavinnen festgehalten", sagte Pinheiro. "Jesidische Kinder werden von den Extremisten indoktriniert." Ein Problem mit Langzeitfolgen.

Für Carla del Ponte, ebenfalls Mitglied der Kommission, hat die Verfolgung der Jesiden die Dimension eines Völkermords angenommen. "Aber das ist meine ganz persönliche Ansicht, für eine juristische Bewertung bräuchten wir eine ordentliche Untersuchung", erklärte die frühere Chefanklägerin an den Kriegsverbrechertribunalen zu Jugoslawien und Ruanda.

Waffenlieferungen nach Syrien

Doch Versuche, den Internationalen Strafgerichtshof wegen der Jesiden einzuschalten, sind im UN-Sicherheitsrat immer wieder gescheitert. "Das ist eine Schande für die internationale Gemeinschaft", urteilt del Ponte. Bis heute lässt Syriens Staatschef Assad nicht einmal zu, dass die UN-Kommission sein Land offiziell bereist. Die meisten der 3.840 Interviews seit 2011 mussten die Experten deshalb im Ausland führen.

Pinheiro gibt dennoch nicht auf. Er fordert eine gemeinsame internationale Kraftanstrengung, um eine politische Lösung zu finden und die grassierenden Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen in Syrien zu beenden. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. "Es liegt in der Verantwortung der Kriegsparteien und aller Staaten mit Einfluss, Frieden zu suchen", glaubt Pinheiro. Stattdessen aber lieferten gleich mehrere Staaten weiter ungehindert Waffen nach Syrien.