Stadt der Autos und der Bibel

Stadt der Autos und der Bibel
Stuttgart ist keine protestantische Metropole mehr

Stuttgart (epd)Auf dem Turm des Stuttgarter Hauptbahnhofs, der in wenigen Jahren unter die Erde verlegt wird, dreht sich weithin sichtbar der Mercedes-Stern. Er hat den Namen der baden-württembergischen Landeshauptstadt in die Welt getragen und steht für die Tüftler- und Perfektionismusmentalität der Schwaben. Die Welt-Christenheit verbindet mit der Neckarmetropole vor allem die Bibel, denn hier hat seit über 200 Jahren die Bibelgesellschaft ihren Sitz.

Neues Bibelmuseum in Stuttgart

Pünktlich zum 35. Deutschen Evangelischen Kirchentag Stuttgart ist im Stadtzentrum das neue Bibelmuseum eröffnet worden, das mit Multimedia-Objekten Begegnungen mit biblischen Personen ermöglicht. Es löst das 2009 geschlossene Bibelmuseum im südlichen Stadtteil Möhringen ab und soll die Besucherzahlen von jährlich 12.000 auf 20.000 hochschnellen lassen. Auch die katholische Kirche hat ihr zentrales "Bibelwerk" in Stuttgart eingerichtet.

Die Stadt war nach der Reformation des Zentrum des Protestantismus im Südwesten. In der Evangelische Landeskirche in Württemberg entwickelte sich eine besonders vitale Form des Pietismus, der entscheidenden Anteil daran hatte, dass aus Württemberg das Land der Dichter, Denker und Tüftler wurde. Im frommen Bestreben, jeden zum Lesen der Bibel zu befähigen, startete das Land schon Mitte des 17. Jahrhunderts eine allgemeine Schulpflicht und mit dem Evangelischen Stift in Tübingen eine protestantische Kaderschmiede, aus der große Theologen, Philosophen und Literaten hervorgingen.

Neben dem Pietismus haben auch Vertreter anderer geistlicher Orientierungen in der Südwestkirche eine starke Wirkung entfaltet - sei es der bibelkritische Theologe David Friedrich Strauß, der im 19. Jahrhundert die Leben-Jesu-Forschung beflügelte, sei es der christliche Sozialist Christoph Blumhardt, dessen politisches Engagement für viele württembergische Glaubensbrüder buchstäblich zum roten Tuch wurde.

Basisdemokratie in der württembergischen Landeskirche

Zu den Besonderheiten der gastgebenden württembergischen Landeskirche mit ihren 2,2 Millionen Mitgliedern gehört die Basisdemokratie. Die Landessynode ist dort buchstäblich ein "Kirchenparlament". Dessen Mitglieder werden alle sechs Jahre unmittelbar von den Kirchenmitgliedern gewählt, was in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) einzigartig ist. Andernorts sind es Kirchenvorstände oder Bezirkssynoden, die die Landessynodalen bestimmen.

Mit dem Namen der Stadt ist auch die Stuttgarter Schulderklärung verbunden. Wenige Monate nach Kriegsende klagten sich evangelische Bischöfe und Kirchenleiter aus ganz Deutschland im Oktober 1945 öffentlich an, angesichts der Nazi-Verbrechen "nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt" zu haben. Aus heutiger Sicht wirkt das Dokument verhalten, erwähnt es doch den Massenmord an den Juden mit keinem Wort. Doch für die damalige Zeit war die Erklärung ein weitgehender Schritt, der in den Gemeinden teilweise auf heftige Kritik stieß, aber auch die Tür zu einem versöhnten Miteinander mit den Kirchen im Ausland öffnete.

Nur noch knapp 27 Prozent Mitglied in der evangelischen Kirche

Als protestantische Metropole kann das 600.000 Einwohner zählende Stuttgart heute nicht mehr gelten. Nur noch knapp 27 Prozent gehören der evangelischen Kirche an, 24 Prozent sind römisch-katholisch. Fast die Hälfte der Stuttgarter ist demnach konfessionslos, jeder Neunte ist Muslim.

Besucher, die den Kirchentag gerne nutzen würden, um vom Fernsehturm aus die Sicht auf die Stadt und das Neckartal zu genießen, werden eine herbe Enttäuschung erleben. Das 217 Meter hohe Wahrzeichen hat vor zwei Jahren für Touristen dichtgemacht, weil der Brandschutz in dem 1956 eröffneten Turm nicht gewährleistet ist.