Sprachforscherin: Medien berichten sensibler über Flüchtlinge

Sprachforscherin: Medien berichten sensibler über Flüchtlinge
Die deutschen Journalisten berichten nach Ansicht der Sprachforscherin Margarete Jäger sensibler über Flüchtlinge als in den 90er Jahren. "Viele Medien versuchen sichtlich, mit ihren Berichten keine Eskalation zu schüren", sagte Jäger im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
01.10.2015
epd
Matthias Klein

Zwar tauchten Metaphern wie "Flüchtlingswelle" oder "Ansturm" auch heute immer wieder in Beiträgen auf. Solche Kollektivsymbole erzeugten Verunsicherungen und Ängste bei den Rezipienten. "Aber im Unterschied zu den 90er Jahren erscheinen die Flüchtlinge nicht als anonyme Masse. Gezeigt werden einzelne Geflüchtete: Kinder, Frauen, alte Menschen", erläuterte die Leiterin des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung.

Durch Berichte über Einzelschicksale bekämen Flüchtlinge sozusagen ein Gesicht. "Dadurch kann Empathie entstehen und die Wirkung der beängstigenden Symbole etwas abgemildert werden." Diese Berichterstattung über Geflüchtete sei Spiegelbild eines veränderten gesellschaftlichen Diskurses, sagte Jäger. "Mit der rot-grünen Bundesregierung hat sich zu Beginn der 2000er Jahre das Selbstverständnis Deutschlands verändert: Es ist nun weitgehend Konsens, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist." 



Sie sehe allerdings auch sehr kritische Aspekte in der Berichterstattung, betonte Jäger. Journalisten stellten nach wie vor restriktive Forderungen in der Flüchtlingspolitik kaum infrage. "Wenn beispielsweise Politiker Geflüchtete als 'schutzbedürftige Flüchtlinge' bezeichnen, wird eine Aufspaltung der Flüchtlinge vorgenommen: Es scheint schutzbedürftige und nicht schutzbedürftige Flüchtlinge zu geben. Diese Spaltung übernehmen die meisten Medien wie selbstverständlich."

Harsche Worte von Politikern über Menschen, die gewalttätig gegen Geflüchtete und ihre Unterkünfte vorgehen, halte sie für kontraproduktiv, sagte Jäger. Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) hatte Frontleute der Proteste vor einer Flüchtlingsunterkunft im sächsischen Heidenau im August beispielsweise als "Pack" bezeichnet. Mit solchen Formulierungen grenze man diese Personen rhetorisch aus der Gesellschaft aus, erläuterte Jäger: "Das suggeriert, innerhalb der Gesellschaft gebe es keine massiven Vorbehalte gegenüber Geflüchteten." Sie plädiere für weniger emotionale Kommentare: "Man sollte das Problem besser klar benennen: Wir haben es hier mit Rassismus zu tun."

Trotz vieler kontroverser Debatten und Hassbotschaften über Flüchtlinge in sozialen Netzwerken prägten die klassischen Medien die gesellschaftlichen Diskurse auch heute entscheidend: "Viele Menschen übernehmen die Deutungsmuster, die die Medien vorgeben", sagte Jäger. "Die Journalisten haben eine große Verantwortung. Sie sollten es sich bei ihren Formulierungen nicht zu einfach machen."