TV-Tipp des Tages: "Über den Tag hinaus" (ARD)

TV-Tipp des Tages: "Über den Tag hinaus" (ARD)
TV-Tipp des Tages: "Über den Tag hinaus", 9. September, 20.15 Uhr im Ersten
Greta, Anfang vierzig, ist Taxifahrerin in Frankfurt und will nach anstrengender Nachschicht eigentlich bloß noch ins Bett. Ihr Chef überredet sie zu einer letzten Fahrt, und Greta erlebt einen Tag, der ihr Leben verändern wird.

Schlicht "Jetzt!" lautete der Arbeitstitel des Drehbuchs von Edda Leesch. Die zuletzt überwiegend als Autorin tätige Schauspielerin hat schon einige Vorlagen für Komödien mit Tiefgang geliefert ("Das Glück ist eine Katze"), und auch "Über den Tag hinaus" erzählt eine Geschichte, die sich auf unterhaltsame Weise mit großen Gedanken auseinandersetzt. Hauptfigur Greta (Katja Studt), Anfang vierzig, ist Taxifahrerin in Frankfurt und will nach anstrengender Nachschicht eigentlich bloß noch ins Bett. Ihr Chef überredet sie zu einer letzten Fahrt, und Greta erlebt einen Tag, der ihr Leben verändern wird: Walter Singer (Horst Sachtleben), Psychiatrieprofessor im Ruhestand, hat sich für die nächsten Stunden ein Pensum vorgenommen, das für eine ganze Woche reichen würde. Ähnlich wie die beiden dem Tod geweihten Helden aus dem Hollywoodfilm "Das Beste kommt zum Schluss" hat der Mann eine Liste mit Dingen erstellt, die er unbedingt noch erledigen will. Weil er Gefallen an Greta findet, engagiert er sie kurzerhand für den ganzen Tag. Die Taxifahrerin ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um darüber nachzudenken, warum der doppelt so alte Walter alle Orte abklappert, die in seinem Leben eine entscheidende Rolle gespielt haben: die Fußgängerbrücke Eiserner Steg, auf der er vor fünfzig Jahren seine Frau kennen gelernt hat; die Kirche, in der sie geheiratet haben; das Haus, in dem sie drei Jahrzehnte verbracht haben. Walter wiederum, Experte für Depressionen, kann nicht aus seiner Haut, entlockt Greta nach und nach ihre Lebensgeschichte und braucht nicht lange, um sich die Gründe für ihre Lebensmüdigkeit zusammenzureimen.

Schon allein die Einheit von Zeit und Raum sorgt dafür, dass der von Martin Enlen inszenierte Film ungeheuer dicht wirkt: Die Handlung erstreckt sich über rund zwölf Stunden und trägt sich zu großen Teilen im Taxi zu. Trotzdem ist "Über den Tag hinaus" kein Kammerspiel, zumal die beiden Hauptfiguren, zwischen denen im Verlauf der Reise eine immer größere Nähe entsteht, die verschiedenen Stationen gemeinsam aufsuchen; auf diese Weise erfährt Greta indirekt über Walter genauso viel wie er über sie.

Viele Szenen wirken wie eine Art Selbstläufer, weil sie so wunderbar ausgedacht sind. Trotzdem steht und fällt so ein Film natürlich mit den Hauptdarstellern, zumal die Figuren ein emotionales Wechselbad erleben. Zunächst ist Walter für Greta bloß ein Fahrgast wie jeder andere, dann wird er zu ihrem Beschützer, und als die Nähe zu groß wird, reagiert sie barsch und abweisend; schließlich setzt sie ihn auf einer Landstraße kurzerhand vor die Tür. Horst Sachtleben und Katja Studt ergänzen sich vortrefflich; die Momente des sich fast widerwillig einstellenden Vertrauens sind ebenso überzeugend gespielt wie die Reibereien. Eine andere Herausforderung war womöglich noch größer: Vordergründig ist "Über den Tag hinaus" ein Road-Movie, aber hintergründig entwickeln sich durch Erzählungen, Bemerkungen und verschiedene Vorfälle zwei grundverschiedene Biografien. Sachtleben und Studt mussten also nicht bloß miteinander auskommen, sondern gleichzeitig glaubwürdig Menschen verkörpern, deren Gegenwart das Ergebnis ihrer Vergangenheit ist..

Enlen richtet seine Inszenierung ganz an den Schauspielern aus, sorgt aber immer wieder für filmisch interessante Szenen, wenn beispielsweise in Walters Vorstellung Gegenwart und Vergangenheit miteinander verschmelzen oder Philipp Timmes Kamera die beiden Hauptdarsteller beim Tanz auf einem Dorfplatz ausgelassen umkreist. Es ist die Summe solcher Momente, mit denen Walter seiner Kurzzeitfreundin zur Lebensfreude zurückfinden lässt; und weil beide das so ansteckend spielen, überträgt sich dieses Glücksgefühl spätestens beim zu Tränen rührenden Ende auch auf die Zuschauer.