Tugce-Albayrak-Prozess: Staatsanwaltschaft fordert mehr als drei Jahre Haft

Tugce-Albayrak-Prozess: Staatsanwaltschaft fordert mehr als drei Jahre Haft
Die Staatsanwaltschaft fordert drei Jahre und drei Monate Gefängnis für den Angeklagten im Prozess um den Tod von Tugce Albayrak. Die Verteidiger plädieren dagegen auf eine Bewährungsstrafe. Das Urteil soll am Dienstag, 16. Juni, fallen.

Im Prozess um den gewaltsamen Tod der Studentin Tugce Albayrak sind am Freitag im Landgericht Darmstadt die Plädoyers gehalten worden. Die Staatsanwaltschaft forderte für den 18-jährigen Angeklagten Sanel M. eine Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten. Der Vorwurf lautet auf Körperverletzung mit Todesfolge. Die Anwälte der Nebenkläger, der Familienangehörigen des Opfers, forderten eine "empfindlichere Jugendstrafe", ohne ein genaues Maß zu nennen. Die Verteidiger des Angeklagten plädierten auf eine Jugendstrafe zur Bewährung und Aussetzung der Haft.

Sanel M. hatte die Studentin laut Anklage im Morgengrauen des 15. November 2014 im Lauf eines Streits vor einem Offenbacher Schnellrestaurant geschlagen, so dass sie stürzte und ins Koma fiel. Zwei Wochen später ließen ihre Eltern die lebenserhaltenden Maschinen abstellen.

Der Angeklagte ergriff am Freitag vor Gericht das letzte Wort, nachdem er seit seinem Geständnis zu Anfang des Prozesses geschwiegen hatte. "Egal was hier rauskommt - ich muss halt damit leben, dass wegen mir ein Mensch tot ist. Der Schlag war der schlimmste Fehler meines Lebens. Ich kann nur sagen, dass es mir leidtut", sagte er.

Staatsanwältin Birgit Lüter stellte fest, dass eine feste Ohrfeige ausreiche, um ein Opfer bewusstlos zu schlagen. Es sei vorhersehbar gewesen, dass der daraufhin folgende Sturz auf den Asphalt tödliche Folgen haben könne. Außerdem sei Sanel M. bereits dreimal verurteilt worden: Wegen Körperverletzung, räuberischer Erpressung und Diebstahl in einem schweren Fall. Für Köperverletzung mit Todesfolge sieht das Jugendstrafrecht einen Strafrahmen von sechs Monaten bis zehn Jahre Haft vor.

Bei der Beurteilung habe die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten sein Geständnis und seine Reue zu Beginn des Prozesses zugutegehalten, sagte Lüter. Auch habe er auf das Opfer nicht eingeprügelt, sondern ihm nur einen Schlag versetzt. Sanel M. habe selbst Gewalt durch den Vater erlebt. Gegen den Angeklagten spreche seine kriminelle Energie. Nach der Tat sei er schnell geflohen, ohne Hilfe zu leisten. In der Haft solle der Angeklagte eine Berufsausbildung nachholen und Mitgefühl gegenüber Schwächeren erlernen.

Staatsanwalt kritisiert öffentliches "Schwarz-Weiß-Bild"

Oberstaatsanwalt Alexander Homm kritisierte das öffentliche Schwarz-Weiß-Bild vom bösen Täter und edlen Opfer der Zivilcourage vor dem Prozess. Klar sei, dass die Aggressionen von der Gruppe junger Männer gegen die Gruppe junger Frauen um Tugce Albayrak ausgegangen seien. Sanel M. habe sich vor dem Schlag auf dem nächtlichen Parkplatz "als großer starker Mann aufgespielt." Es sei nicht glaubhaft, dass eine angeblich kurz zuvor ausgesprochene Beschimpfung durch Tugce den Ausschlag für den Schlag gegeben habe.

Die Rechtsanwälte der Familienangehörigen des Opfers plädierten für eine "empfindlichere Jugendstrafe", um in einer längeren Erziehung an der Persönlichkeit des Angeklagten zu arbeiten. Der Anwalt Macit Karaahmetoglu sprach dem Angeklagten Reue ab. Sein zu Anfang des Prozesses verlesenes Geständnis sei rein prozesstaktisch motiviert gewesen.

Die Verteidiger des Angeklagten bestritten, dass die Folgen des Schlages hätten vorhergesehen werden können. Sanel M. seien nach Beleidigungen durch Tugce Albayrak "die Sicherungen durchgebrannt", sagte Rechtsanwalt Stephan Kuhn. Verteidiger Hans-Jürgen Borowsky kritisierte eine Vorverurteilung des Angeklagten und eine beispiellose Kampagne in der Presse. Der Staat habe beim Schutz eines Heranwachsenden versagt. Sanel M. habe nicht wissen können, dass eine Ohrfeige zum Tod führen könne. "Ohrfeigen waren jahrhundertelang ein erprobtes Mittel der Erziehung." Der 18-Jährige werde zu seiner Sicherheit das Rhein-Main-Gebiet verlassen und sich ein Leben lang mit den Folgen seiner Tat auseinandersetzen müssen.

Der dritte Verteidiger, Christian Heinemann, nannte den Tod von Tugce einen "äußerst bedauerlichen Unglücksfall".  Sanel M. habe im Prozess geschwiegen, weil nach der "Hexenjagd" der Medien ihm "jedes Wort im Mund umgedreht" worden wäre. Der Anwalt plädierte auf ein Jahr Jugendstrafe, ausgesetzt auf zwei Jahre Bewährung. Das Urteil soll am Dienstag erfolgen.