TV-Tipp des Tages: "Mord in bester Gesellschaft: Das Scheusal"

TV-Tipp des Tages: "Mord in bester Gesellschaft: Das Scheusal"
TV-Tipp des Tages: "Mord in bester Gesellschaft: Das Scheusal", 11. Juni, 20.15 Uhr im Ersten
Es ist schon erstaunlich und durchaus beeindruckend, wie radikal sich "Mord in bester Gesellschaft" verändert hat. Abgesehen vom Titel und dem Hauptdarstellerpaar (Fritz Wepper und Tochter Sophie) gibt es kaum noch Ähnlichkeiten zwischen dem jüngsten Film, "Das Scheusal", und den ersten Episoden. Der Wandel ist schon mit dem im Dezember 2013 ausgestrahlten elften Fall ("In Teufels Küche") eingeleitet worden, als Stefan Cantz und Jan Hinter, die Väter des "Tatort" aus Münster, Rolf René Schneider als Autor ablösten. Mit Episode Nummer zwölf ("Die Täuschung", 2014) wurde "Mord in bester Gesellschaft" endgültig zur ernstzunehmenden Krimireihe.

"Das Scheusal" geht allerdings noch einen Schritt weiter. Der Prolog gibt einen unmissverständlichen Vorgeschmack darauf, dass dieser Film keine fröhliche Unterhaltung sein wird. Die ersten Bilder zeigen eine reizvolle Parallelmontage, die mit Erfolg die Neugier auf die Geschichte weckt: Die Polizei findet eine Leiche, und Wendelin Winter wird mit Gewalt ruhiggestellt; dazu singt Johnny Cash "You’ll Never Walk Alone". Dann erst beginnt die eigentliche Handlung: Winters Tochter Alexandra (Sophie Wepper) will einen Artikel über den inhaftierten Serienmörder Gerd Granitzka, genannt das Scheusal (Felix Vörtler), schreiben. Ihr Patenonkel Konstantin Karoschek (Fred Stillkrauth) war für das psychiatrische Gutachten verantwortlich und stellt den Kontakt zu dem Mörder her. Wendelin Winter ist umgehend fasziniert von dem angeblich psychopathischen Mann, lässt sich die Ermittlungsakten schicken und stößt alsbald auf Ungereimtheiten. Granitzka hat alle Morde gestanden und verfügt über sogenanntes Täterwissen, aber als Winter eine der Taten rekonstruiert, stellt er fest, dass sie sich unmöglich wie vom Mörder beschrieben abgespielt haben kann. Doch bevor er seinem Verdacht weiter nachgehen kann, wird er zwangsweise in die Psychiatrie eingewiesen und ruhiggestellt.

Dank ihrer Faktenvielfalt ist die Geschichte von ähnlich eindrucksvoller Komplexität wie sonst eigentlich nur Romanverfilmungen. Das Drehbuch stammt von Dirk Kämper und Lars Montag, den Autoren der ersten Fälle für Devid Striesow als "Tatort"-Kommissar aus Saarbrücken sowie eines herausragenden Münchener "Polizeirufs" mit Stefanie Stappenbeck ("Die Lücke, die der Teufel lässt", 2010); hier hat Montag ebenfalls Regie geführt. Bei seiner Inszenierung von "Das Scheusal" lässt er mit Hilfe von Bildgestaltung (Wolf Siegelmann) und Musik (Stephan Massimo) von Anfang an keinen Zweifel daran, dass dieser Film nichts mit dem harmlosen Krimizeitvertreib zu tun, für den die Reihe früher stand. Gerade die Akustik bedient sich immer wieder typischer Thriller-Elemente: Ein beharrliches Wummern im Hintergrund verhindert, dass man sich wohlig berieseln lassen kann; gleiches gilt für die geräuschvollen Szenenwechsel. Wie groß der Einfluss der Akustik ist, zeigt sich, als Wendelin und Alexandra Winter den Hochsicherheitstrakt besuchen: Es ist vor allem die Tonspur, die dafür sorgt, dass man die Beklemmungen der jungen Frau gut nachvollziehen kann; kein Wunder, dass sie schließlich die Nerven verliert und den Bereich fluchtartig verlassen muss.

Trotzdem drängt sich das ausgezeichnete Handwerk nicht in den Vordergrund; es ist die raffiniert eingefädelte Handlung, die die Faszination des Films ausmacht. Als Inspiration diente den Autoren ein schwedischer Justizskandal, was die Geschichte noch ungeheuerlicher macht. Winter findet raus, dass drei Personen durch die Verhaftung und Verurteilung Granitzkas Karriere gemacht haben: der damalige Leiter der Ermittlungen (Norman Hacker), eine Staatsanwältin (Johanna Bittenbinder) und schließlich Psychiater Karoschek; das einflussreiche Trio hat selbstredend wenig Interesse daran, dass die alten Fälle wieder aufgerollt werden, zumal Granitzka auch die Verantwortung für die viele Jahre zurückliegende bestialische Ermordung eines Jungen übernimmt, dessen Leiche durch Zufall erst jetzt entdeckt worden ist. Winters Schicksal liegt nun in der Hand von Kommissar Becker (Wayne Carpendale), der den wahren Mörder finden muss.

Abgesehen von wenigen Szenen mit Sophie Wepper verzichtet "Das Scheusal" komplett auf die Leichtigkeit der Anfangsjahre. Die Morde werden zwar nur geschildert, aber die in rascher Schnittfolge gezeigten Polizeifotos genügen, um sich ein Bild von der Grausamkeit der Taten zu machen. Die alptraumartigen Szenen in der Psychiatrie sind nicht minder bedrückend. Wer diesen Film einschaltet, weil Wepper dank Dutzender Komödien und der Serie "Um Himmels Willen" für leichte Unterhaltung steht, wird einen verstörenden Abend erleben.