Der Weg ins Leben

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Achtung, fertig, los - der bestmögliche Start ins Leben ist gar nicht so einfach.
Der Weg ins Leben
Wo werden Kinder am besten gefördert: In der Kita, bei einer Tagesmutter oder doch zu Hause? Wenn es um einen bestmöglichen Start in das Leben geht, dann gibt es viele Meinungen, Vorurteile und Ängste.

"Du tust mir kund den Weg zum Leben":  Der Psalm steht in großen Buchstaben auf einer Wand im Eingangsbereich des "Nicolino - Haus der Kinder", der Kindertagesstätte der Evangelisch-Lutherischen St. Nicolai-Gemeinde in Frankfurt am Main. Überall wuseln Kinder herum. Die Erzieher arbeiten nach dem offenen Prinzip, erklärt die stellvertretende Leiterin Gabi Friedrich. Das heißt, die Kinder sind nicht in festen Gruppen, sondern können stattdessen frei wählen, wo sie sich aufhalten möchten: Im Außengelände oder in einem der vielen Lern- und Spielräume. So gibt es zum Beispiel im Erdgeschoss einen Kreativ- und einen Turnraum. Im oberen Stock finden sich ein "Forscherraum" und ein "Leseraum". In letzterem ist es erstaunlich ruhig, drei Mädchen haben sich auf Kissen in eine Sitzecke zurückgezogen und blättern konzentriert in Büchern. 

Die Ängste der Eltern

Gewisse Rituale und Tagesstrukturen werden dennoch eingehalten: So treffen sich die Kinder in festen Gruppen zum Morgenkreis und zum Mittagessen. Jedes Kind hat außerdem einen "Bezugserzieher", der sich in der Eingewöhnungsphase besonders intensiv um das Kind kümmert und in der Kindertagesstätte begleitet. Trotzdem: Gabi Friedrich kennt die anfänglichen Ängste mancher Eltern, dass ihr Kind "nicht gesehen wird in der offenen Arbeit". Die Erzieher begegnen diesen Ängsten indem sie "den Eltern jeden Tag sagen, was das Kind genau gemacht hat." Es sei ein gutes Zeichen, wenn ein Kind sich von seiner Bezugserzieherin löst, um auf eigene Faust die Spiel- und Lernwelten der Kita zu erkunden: "Das heißt, es ist angekommen und hat seinen Platz gefunden und das Kind ist innerlich so gewachsen, das es weiß, was es möchte und das dann auch tut", erklärt Friedrich.

Der Austausch der Erzieher untereinander ist doppelt wichtig: Einmal, um die Entwicklung und Bedürfnisse jedes Kindes im Blick zu haben und zum anderen, um die Eltern jederzeit auf den neuesten Stand zu bringen und miteinzubeziehen.

"Meine Kinder können sich unheimlich gut in der Gemeinschaft bewegen"

Karoline Faber aus Zwingenberg hat schon unterschiedliche Betreuungsangebote für ihre zwei Kinder Sophia, 6 Jahre alt, und Ole, 18 Monate alt, erfahren. Ihre Tochter hatte sie zuerst bei einer Tagesmutter bevor sie in den Kindergarten kam. Ihr Sohn hat direkt einen Krippenplatz bekommen. "Zum einen finde ich es schöner, dass mein Sohn in der Krippe mit mehreren Kindern zusammen ist und das Angebot dort vielfältiger ist," sagt die 34-jährige Mutter, die eine positive Entwicklung bei ihren Kindern sieht: "Bei meinen beiden Kindern habe ich beobachtet, dass sie sich toll und schnell entwickeln. Gerade bei meinem Sohn beobachte ich, dass seine Sprache schneller besser wird, seitdem er in die Krippe geht. Und beide können sich unheimlich gut in der Gemeinschaft bewegen." 

###mehr-artikel###Das tägliche Feedback von den Erziehern ist auch ihr wichtig. "Ich bin überzeugt von frühkindlicher Förderung und Betreuung. Aber das schlechte Gewissen begleitet einen trotzdem immer", so Faber. Auf ihren Beruf möchte sie aber trotzdem aus mehreren Gründen nicht verzichten: "Mir macht meine Arbeit Spaß. Ich möchte außerdem nicht in die klassische Rentenfalle tappen und wir sind zudem als Familie auf mein Gehalt angewiesen."

Dass mehr in die Bildung von kleinen Kindern investiert werden muss, fordern auch Wissenschaftler in ihrer Stellungnahme "Frühkindliche Sozialisation", die dieses Jahr veröffentlich wurde. Gerade in der frühen Kindheit würden wichtige Erfahrungen gemacht werden, die nachhaltig prägen und sich später nur schwer nachholen ließen, so die Spitzenforscher. Also mehr Bildungsangebote für die Kleinsten? Viele denken dabei an das Klischee vom Chinesisch-Unterricht für Einjährige. Dabei geht es gerade nicht um ein "verschultes Lernen" betont Prof. Dr. C.  Katharina Spieß vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Vielmehr ginge es um "die Förderung unterschiedlicher kognitiver Kompetenzen, aber auch emotionaler und motivationaler Kompetenzen."

"Im gemeinsamen Spiel lernt ein Kind unwahrscheinlich viel"

Die Angst, dass die Bildung zu kurz kommt, liegt erstaunlich oft auf der Seite der Eltern, weiß Friedrich aus dem Kita-Alltag zu berichten. "Dabei bleibt das Wichtigste immer noch das Spiel, denn im gemeinsamen Spiel mit anderen lernt ein Kind unwahrscheinlich viel." Es geht längst nicht mehr darum, dass Kinder, die in die Schule kommen besonders gut Papier ausschneiden oder schon das Alphabet können. "Für uns ist das nicht das Wichtigste", so Friedrich. "Wichtig ist, dass wir die Kinder stark machen. Dass sie mit Frustrationen und Niederlagen umgehen können, dass sie sich in eine Gruppe einfügen können und ihre Rolle finden und den Mut eigene Ideen zu entwickeln und sich einzubringen."

###mehr-links###In der Stellungnahme haben die Wissenschaftler jedoch nicht nur die Kinder im Blick, sondern auch die Eltern: "Studien belegen, dass Bildungsangebote dann besonders effizient sind, wenn sie auch die Eltern mit einbeziehen", erklärt Spieß. "Wenn sie also nicht nur mit den Kindern arbeiten, sondern auch tatsächlich mit den Eltern." Eine Möglichkeit, das zu erreichen, wäre der Ausbau von Kitas zu Familienzentren. Dort könnten Beratungen zur finanziellen Situation von sozio-ökonomisch schwächeren Familien oder Sprachkurse für Eltern mit Migrationshintergrund stattfinden. Auch Angebote wie Ergotherapie und Logopädie könnten dort mit unters Dach geholt werden. "Das wäre ein viel breiteres Verständnis von Kindertagesstätten", so Spieß.

Dementsprechend stehen heute schon Erzieher vor einer Mammutaufgabe: Sie müssen auf jedes Kind individuell eingehen, die Eltern miteinbeziehen und sich stetig weiterbilden, um auch Herausforderungen wie Inklusion gut meistern zu können. Gabi Friedrich wünscht sich deshalb neben der Aufstockung des pädagogischen Personals in Kitas vor allen Dingen, dass eine gute Ausbildung für Erzieher weiter vorangetrieben wird. Die Ausbildung von Erziehern sei nie beendet, meint die Pädagogin. Man müsse sich ständig fortbilden, um am Ball zu bleiben. Auch Katharina Spieß ist klar, "dass Erzieherinnen eine Mega-Aufgabe haben in der Begleitung von Kindern und dass der Stellenwert, den sie in der Bildungskette in Deutschland einnehmen sicher viel zu gering angesehen wird." Die Wissenschaftlerin ist überzeugt, "dass es absolut wichtig ist, eine gute Ausbildung als Erzieherin zu haben und die Erzieherinnen in ihrer Arbeit voll zu unterstützen und zu begleiten."

Nur wirtschaftliche Interessen?

Doch es gibt auch Kritik an Empfehlungen wie die von Spieß und ihren Wissenschaftskollegen. In Büchern wie "Die Kindheit ist unantastbar - Warum Eltern ihr Recht auf Erziehung zurückfordern müssen" und "Vater, Mutter, Staat: Das Märchen vom Segen der Ganztagsbetreuung" werden Befürchtungen thematisiert, dass rein wirtschaftliche und staatliche Interessen hinter Studien und neuen Konzepten für Kinderbetreuung stehen. Dem steht jedoch die Erfahrung gegenüber, dass es oft gerade die Eltern sind, die frühkindliche Bildungsangebote einfordern.

Spieß stellt jedenfalls klar, dass es bei der Stellungnahme nicht darum geht, dass sich der Staat in die elterliche Erziehung einmischt. "Es geht darum, dass allen Kindern gleich gute Bildungschancen eröffnet werden und nicht nur bestimmten Bildungsgruppen Zugang zu einer guten Kita gewährleistet wird und anderen nicht." Die Bedürfnisse der Kinder sollten immer im Mittelpunkt stehen und nicht wirtschaftliche Interessen. Spieß dazu: "Wir denken gerade vom Kind her, denn es ist vom Lebenslauf eines Menschen gedacht absolut wichtig, Kinder frühkindlich gut zu begleiten." Und weiter: "Wo im Lebenszyklus Investitionen am besten eingesetzt werden, hat überhaupt nichts damit zu tun, die frühe Kindheit zu kommerzialisieren oder wirtschaftlich zu betrachten."

Auch Gabi Friedrich von der Nicolino-Kita sieht das ähnlich. Ein offenes Konzept in einer Kita umzusetzen bedeutet für sie und ihre Kollegen, zusammen mit den Kindern daran zu arbeiten. Sie greifen Ideen der Kinder auf und setzen sie gemeinsam mit ihnen um. "Die Interessen der Kinder fließen in unsere pädagogische Planung mit ein", so Friedrich. "Neulich hat ein Kind gesagt, dass es hier in der Nähe auf einem Bauernhof war und es hat sich gewünscht, dass mal alle zusammen dorthin fahren. Das haben wir dann auch organisiert."

"Du tust mir kund den Weg zum Leben." Den Psalm kann man auch so lesen, dass Kinder nicht einfach nur einem vorbestimmten Pfad folgen sollen. Sondern, dass sie darin bestärkt werden müssen, ihren eigenen Weg zu gehen.