Papst mahnt zu gemeinsamer europäischer Flüchtlingspolitik

Papst mahnt zu gemeinsamer europäischer Flüchtlingspolitik
Das Mittelmeer dürfe nicht zu einem großen Friedhof werden, warnte Franziskus bei der ersten Rede eines Papstes vor dem Parlament der Europäischen Union seit 1988. Auch warnte er die Staaten vor einer "Politik der Eigeninteressen".

Papst Franziskus hat die Staaten der Europäischen Union zu einer stärkeren Zusammenarbeit in der Flüchtlingspolitik aufgerufen. "Man kann nicht hinnehmen, dass das Mittelmeer zu einem großen Friedhof wird", sagte er am Dienstag in Straßburg vor dem EU-Parlament mit Blick auf die wiederholten Flüchtlingstragödien mit Tausenden Toten. Franziskus rief die EU zugleich auf, zu ihren Gründungsideen zurückzukehren. Er sprach von einem Kontinent, der "Großmutter und nicht mehr fruchtbar und lebendig ist".

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Das Kirchenoberhaupt war am Dienstagmorgen zu einem vierstündigen Kurzbesuch in Straßburg eingetroffen. Nach der Rede im EU-Parlament wollte der Papst im Europarat eine Ansprache zum 65. Gründungstag der
Staatenorganisation halten. Es ist die kürzeste Auslandsreise in der Papstgeschichte. Am Nachmittag war der Rückflug nach Rom vorgesehen. Zuletzt hatte Papst Johannes Paul II. (1920-2005) im Oktober 1988 vor
den EU-Parlamentariern in Straßburg gesprochen.

Die Menschen auf den Kähnen, die täglich an den Küsten landeten, bräuchten Aufnahme und Hilfe, sagte Franziskus. Das Fehlen gegenseitiger Unterstützung der EU-Staaten führe zu "partikularistischen Lösungen", die die Menschenwürde der Einwanderer nicht berücksichtigten. Europa solle zugleich die eigene kulturelle Identität stärken, die Rechte seiner Bürger schützen und die Aufnahme von Migranten garantieren.

Der Papst sprach sich auch für "mutige und konkrete politische Maßnahmen" zugunsten der Herkunftsländer der Migranten aus und warnte die EU-Staaten vor einer "Politik der Eigeninteressen", die die Konflikte steigere und nähre. Nach UN-Angaben sind allein seit Jahresbeginn im Mittelmeer mindestens 2.500 Flüchtlinge ertrunken.

Ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Kalten Kriegs sei die Welt vernetzter und weniger eurozentrisch, unterstrich der Papst mit Blick auf den politischen Zustand der EU. Die Union sei zwar größer und einflussreicher geworden. Daneben gebe es aber das Bild eines "gealterten und erdrückten Europas", das dazu neige, sich weniger als Handelnder zu fühlen, ergänzte das Oberhaupt der katholischen Kirche vor den Europaabgeordneten. Die gegenwärtigen Schwierigkeiten könnten aber zu machtvollen Förderern der Einheit werden.

Die Zukunft Europas hänge davon ab, dass die Öffnung zum Transzendenten und die konkrete Problemlösung verknüpft werden, sagte der 77-jährige Franziskus weiter. Ein Kontinent, der nicht mehr fähig sei, sich der transzendenten Dimension des Lebens zu öffnen, stehe in der Gefahr, "allmählich seine Seele zu verlieren und auch jenen 'humanistischen Geist', den es doch liebt und verteidigt". Ohne eine Öffnung zum Transzendenten drohe der Mensch zum Spielball der Moden und der jeweiligen Mächte zu werden.

Mit deutlichen Worten wandte sich Franziskus in seiner auf Italienisch gehaltenen Ansprache gegen einen überzogenen Individualismus. Es gebe heute eine "Tendenz zu einer immer weiter reichenden Beanspruchung der individuellen Rechte", die die Menschen unsensibel für ihre Umgebung mache, sagte er. Dabei werde nicht berücksichtigt, dass es neben Rechten auch Pflichten gebe und jeder Mensch in einen sozialen Kontext eingebunden sei, in dem beides zum Wohl der Gesellschaft verknüpft sei.