Erneut Historiker-Kritik an Vorbereitung des Reformationsjubiläums

Erneut Historiker-Kritik an Vorbereitung des Reformationsjubiläums
Der Münsteraner Historiker Matthias Pohlig kritisiert die starke Fokussierung der Thematik auf die Person Martin Luthers. Zuvor hatte bereits der Professor Hartmut Lehmann Kritik am Vorgehen der EKD geübt.

Die Kritik von Historikern an den Vorbereitungen der 500-Jahrfeier der Reformation reißt nicht ab. In Ausstellungen, Tourismus-, Schul- und Musikprojekten werde die Erinnerung an die religiöse Erneuerungsbewegung sehr stark auf den Reformator Martin Luther (1483-1546) zugespitzt, schreibt der Historiker Matthias Pohlig von der Universität Münster auf der Internetseite www.religion-und-politik.de. "Gerade die Luther-Zentriertheit der Lutherdekade ist für eine historische Forschung, die sich seit Jahrzehnten bemüht, die sozialen, politischen und kulturellen Umbrüche um 1500 zu beschreiben, ohne in die Falle einer Geschichte großer Männer zu tappen, ein Problem", argumentiert der Wissenschaftler. Zuvor hatte der Geschichtsprofessor Hartmut Lehmann, kritisiert, aufseiten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) fehle es an einem Programm, um das Reformationsjubiläum in der Gesellschaft zu verankern.

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Während die Kirche die Identifikationspotenziale der Reformation suche und einem Bedürfnis nach Identitätsstiftung und Selbstvergewisserung nachkomme, bemühten sich Historiker in kleinteiliger kulturhistorischer Forschung "um Dekonstruktion des allzu vertraut Scheinenden". Die verbreitete Vorstellung von einem "Luther der Moderne, Vorkämpfer von Freiheit und Toleranz" komme dabei ebenso wenig infrage wie eine Darstellung des Reformators als "der Unmoderne, Repressive, der Intolerante", schreibt Pohlig in seinem Beitrag "Vom Fremdeln mit dem Reformationsjubiläum 2017".

Die Geschichtswissenschaftler sähen in Formaten der Vermittlung wie Doku-Dramas, Comics oder historischen Events die Gefahr einer Verflachung oder Verfälschung. Zu "Auswüchsen der Lutherdekade" rechnet der Historiker Luther-Raps und -songs bei YouTube, Ratgeberliteratur, kitschige Bücher mit Lutherzitaten oder das Aussenden von Schülern als "Lutherbotschafter" in andere Länder.

Der ehemalige Direktor des Göttinger Max-Planck-Instituts für Geschichte, Hartmut Lehmann, beklagt, die EKD habe es versäumt, Gesprächsfäden über das eigene evangelisch-kirchliche Milieu hinaus zu knüpfen. Als Beispiel nennt er die Pfingstkirchen oder christliche Migrantengemeinden. Auch die internationale Dimension werde vernachlässigt, schrieb Lehmann am Montag in einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".

Der EKD-Text "Rechtfertigung und Freiheit" ist dem Historiker zufolge "ein Zeugnis der Abgrenzung und nicht der Öffnung hin zu allen gesellschaftlichen Gruppen". Adressat der Schrift sei vor allem die evangelische Kerngemeinde, die aus fünf Prozent aktiver Kirchenchristen bestehe. Als ein Problem bezeichnet es Lehmann, dass Bund, Lutherländer und Städte die EKD nicht drängten, "auf ihre Politik einer bewussten Exklusion zu verzichten und stattdessen eine Politik der kulturellen Inklusion zu verfolgen".

Das im Mai veröffentlichte 112-seitige Dokument "Rechtfertigung und Freiheit" hatte eine heftige Diskussion ausgelöst. Fachleute beleuchten darin mit Blick auf das Reformationsjubiläum 2017 die Grundlagen der Theologie von Martin Luther (1483-1546), in deren Zentrum die Rechtfertigungslehre steht. Kritiker hielten der EKD daraufhin ein einseitiges und dogmatisches Reformationsverständnis vor.