Indonesien: Religionsfreiheit mit Spannungen

Weihnachtsgottesdienst mit Polizeischutz in Jakarta
Foto: dpa/Bagus Indahono
Polizeischutz für religiöse Minderheiten, wie hier zu Weihnachten vor der evangelischen Immuanel-Kirche in Jakarta, ist in Indonesien eher selten.
Indonesien: Religionsfreiheit mit Spannungen
In Indonesien leben über 191 Millionen Muslime, mehr als in jedem anderen Land. Oft kommt es zu Spannungen mit Christen, aber auch zwischen unterschiedlichen Richtungen des Islam. Der katholische Theologe Franz Magnis-Suseno erklärt, wo fundamentalistisch-islamische Gruppen Zulauf finden und warum Katholiken den längeren Atem haben.
21.09.2014
welt-sichten
Bernd Ludermann

Haben in Indonesien Angriffe auf religiöse Minderheiten wie Christen und Ahmadiyya in den vergangenen Jahren zugenommen?

Franz Magnis-Suseno: Ja. Bei Kirchen trifft es vor allem solche, die keine offizielle Genehmigung haben. Viele Gemeinden halten Gottesdienste in Privaträumen ab oder in Turnhallen von katholischen Schulen. Das ist nicht völlig legal, obwohl unsere, also die katholischen Gemeinden, immer vorläufige Erlaubnisse haben. Öfter schreiten dann radikale Muslime ein. Meist geschieht das mit Drohungen, aber weil die Polizei keinen Schutz gibt, muss der Gottesdienst gestoppt werden. Deutlich brutalere Angriffe hat es gegen die Ahmadiyya und seit einigen Jahren auch gegen Schiiten gegeben.

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In allen Landesteilen?

Magnis-Suseno: Es ist vor allem in West-Java ein Problem. Auch in Sulawesi kommen solche Angriffe vor.

Hängen Spannungen zwischen Religionsgruppen mit der Demokratisierung zusammen, etwa wegen der Mobilisierung im Wahlkampf?

Magnis-Suseno: Nicht direkt. Ich sehe zwei Ursachen dafür. Erstens nimmt die Intoleranz im Lande zu. Das hat mit dem täglichen Existenzkampf der einfachen Leute zu tun.

Obwohl die Wirtschaft und der durchschnittliche Wohlstand in Indonesien wachsen?

Magnis-Suseno: Rund 40 Prozent der Bevölkerung erleben einen mehr oder weniger langsamen sozialen Aufstieg. Von den übrigen 60 Prozent ist zwar auch nur ein kleiner Teil extrem arm, aber sehr viele leben am Rande der Armut. Und die Konkurrenz ist hart. Wer etwa Parkwächter für eine Anzahl Autos werden will, muss erst einmal an einen Boss etwas zahlen, und wenn der benachbarte Wächter eins der Autos übernimmt, kann das zu Gewalt führen. In einer solchen Situation ziehen sich die Leute auf ihre eigene Volks- oder Religionsgruppe zurück und sind misstrauisch gegenüber anderen.

Vor allem in Städten, in die ständig Menschen zuziehen?

Magnis-Suseno: Die religiös begründete Gewalt findet immer in Städten statt, manchmal in Kleinstädten, aber oft bei Metropolen wie Bandung oder Jakarta. Die zweite Ursache der Probleme ist, dass es seit der demokratischen Öffnung radikale islamische Kreise gibt, die darauf hinarbeiten, die Christen zumindest einzuschränken. Ich denke, manche Gruppen suchen bewusst nach christlichen Gemeinden, die nicht alle Erlaubnisse für den Gottesdienst haben und denen man es deshalb schwermachen kann. Sie nutzen die demokratische Rede- und Organisationsfreiheit, um offen aufzutreten. Man muss aber sagen, dass echte Pogrome gegen christliche Kirchen vor allem gegen Ende der Herrschaft Suhartos stattgefunden haben.

Vor der Demokratisierung?

Magnis-Suseno: Ja. Suharto hat Anfang der 1990er Jahre einen proislamischen Schwenk gemacht, vermutlich um seine politische Basis zu verbreitern. Die Katholiken und teils auch die Protestanten wurden als Teil der Opposition angesehen. So kam es zu drei schweren Pogromen, bei denen zahlreiche Kirchen abgebrannt wurden. So etwas ist zuletzt kurz nach dem Sturz Suhartos 1998 in Jakarta passiert, dann nicht mehr. Spätere Angriffe waren immer lokale Einzelfälle.

"Vor den Gerichten bekommen Christen immer noch oft Recht. Das Problem ist, dass Urteile nicht befolgt werden"

Intoleranz wird heute nicht politisch geschürt, sondern entsteht aus der Gesellschaft heraus?

Magnis-Suseno: So ist es. Dahinter stehen bestimmte islamische Gruppen der Zivilgesellschaft; besonders aktiv sind die Islamische Verteidigungsfront (FBI) und das Forum der islamischen Gemeinde (FUI). Es gibt, etwas vergröbert gesagt, in Indonesien zwei islamische Auffassungen zum Verhältnis von Staat und Religion. Die großen islamischen Verbände haben erklärt, die geltenden fünf Staatsprinzipien (Pancasila) seien die endgültige Staatsform für Indonesien. Muslime könnten darunter hervorragend nach der Scharia leben. Sie weisen auch darauf hin, dass der Islam nicht einheitlich ist und sich in lokale Kulturen einfügen muss.

Die indonesischen Fundamentalisten aller Art deuten das ganz anders. Sie sagen, die Islamisierung Indonesiens braucht Zeit und dauert schon 500 Jahre. Es müsse endlich der wahre Islam eingeführt werden, das ist der wahhabitisch-arabische. Diese Gruppen finden, die großen islamischen Verbände verträten einen Wischiwaschi-Islam.

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Und die Fundamentalisten stellen die Religionsfreiheit infrage?

Magnis-Suseno: Teilweise. Wenn man sie fragt, was mit den Christen geschieht, wenn der islamische Staat erreicht ist, dann werden sie immer antworten: Die Christen werden selbstverständlich gleichberechtigte Mitbürger sein, nur werden wir den Staat auf den Prinzipien der Scharia aufbauen.

Wie das in der Praxis aussähe, ist eine andere Frage. Aber wenn Sie diese Muslime auf die Schiiten und die Ahmadiyya ansprechen, sind die Antworten oft hoch emotional: Diese Gruppen beleidigten den Islam, den Koran und den Propheten und müssten zurückkehren zum wahren, sunnitischen Islam. Bei Angriffen auf Schiiten und Ahmadiyya gab es schon Tote. Auf den Inseln Madura und Lombok mussten Mitglieder der Ahmadiyya fliehen und leben immer noch in Lagern. Sie können nicht in ihre Dörfer zurück, solange sie nicht ihrem Glauben abschwören.

Schützen die Polizei und die Justiz religiöse Minderheiten nicht?

Magnis-Suseno: Vor den Gerichten bekommen Christen immer noch oft Recht. Das Problem ist, dass Urteile nicht befolgt werden. Nehmen Sie den bekannten Fall der protestantischen Yasmin-Kirche in Bogor, einer Großstadt im Süden von Jakarta: Das Oberste Gericht hat der Gemeinde das Recht zugesprochen, ihre neu gebaute Kirche zu nutzen, aber der Bürgermeister erlaubt das trotzdem nicht. Die Polizei traut sich nicht, das Gerichtsurteil durchzusetzen – vermutlich weil die lokalen Polizisten den Eindruck haben, sie hätten keine Rückendeckung von oben. Der Staatspräsident weist die oberste Polizeiführung offenbar nicht an, einzuschreiten und Minderheiten zu schützen. Stattdessen mahnt er meist nur, keine Gewalt anzuwenden.

Wie ist das Zusammenleben im Alltag? Sind zum Beispiel religiös gemischte Ehen verbreitet?

Magnis-Suseno: Das hängt von der Gegend ab. Auf den großen Inseln wie Java und Sumatra, wo große Mehrheiten Muslime sind, leben die Christen recht problemlos mit diesen zusammen und es gibt relativ viele Mischehen. Ich schätze, dass 95 Prozent der christlichen Gemeinden in solchen Gebieten völlig unbehelligt ihre Gottesdienste halten. In Ostindonesien ist die Lage schwieriger, weil dort teilweise verschiedene Volksgruppen leben, die sich nicht nur durch Sprache und Kultur, sondern eben auch durch Religion unterscheiden. Das war zum Beispiel in Poso auf Sulawesi der Fall, wo es einen dreijährigen Bürgerkrieg gab: Die Einheimischen waren im Wesentlichen protestantische Christen und die Zuwanderung von Muslimen, vor allem aus dem Süden der Insel, hat Gewalt heraufbeschworen.

"Oft können lokale Probleme im Gespräch gelöst werden"

Tragen christliche Missionsbestrebungen zu Spannungen bei?

Magnis-Suseno: Weder die Katholiken noch die großen protestantischen Kirchen werben offensiv um Übertritte von Muslimen. Das wäre auch schwer möglich. Es gibt kleine evangelikale Gruppen, die das tun. Aber viele Beispiele von Christianisierung, die man in der Literatur islamischer Hardliner findet, sind an den Haaren herbeigezogen. Ich schließe daraus, dass Muslime hier wenig Anlass zum Ärger haben. Es werden jedes Jahr Muslime getauft, aber unter dem Strich treten durch Mischehen viel mehr Christen zum Islam über als umgekehrt. In Indonesien ist man frei, die Religion zu wechseln. Die Lage ist insgesamt nicht so schlecht, verglichen zum Beispiel mit Malaysia.

Was tun Kirchen und muslimische Führer gegen Intoleranz und Gewalt?

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Magnis-Suseno: Sehr viel. Katholiken und Protestanten haben sehr gute Beziehungen zur NU und Muhamaddiyah. Oft können lokale Probleme im Gespräch mit ihnen gelöst werden. Die Katholiken haben im Übrigen bei Streit um ihre Gottesdienste im Wesentlichen die Einstellung: Wir erzwingen nichts, sondern sprechen so lange mit den Muslimen, bis sie zustimmen. Im Allgemeinen gelingt das auch. Es kann 20 Jahre dauern, bis eine Kirche gebaut wird, aber dann hat die Gemeinde gute Beziehungen zu den Muslimen am Ort.

Protestanten tun sich da schwerer. Sie sind nämlich oft kleinere Gruppen, weil es zwar mehr Protestanten in Indonesien gibt als Katholiken, sie sich aber auf so viele verschiedene Kirchen aufteilen. Da, wo sie eine Kirche bauen wollen, leben oft nur wenige aus der Gemeinde – die übrigen reisen immer mit Autos zum Gottesdienst an. Da sagen dann die Muslime, was soll hier eine Kirche für Leute von ganz woanders?

Der Dialog zwischen Christen und Muslimen ist zumindest bei den Katholiken nicht auf die Führungsebene beschränkt, sondern findet auch lokal statt?

Magnis-Suseno: Ja. Ich habe auf einer Tagung in einer kleinen Pfarrei südlich von Jakarta einmal den Führer der örtlichen Islamischen Verteidigungsfront getroffen – das ist die berüchtigtste islamische Schlägergruppe in Indonesien. Der Pfarrer sagte mir, dass sie sehr gute Beziehungen zu ihr haben. Sie werden vielleicht auch Schwierigkeiten machen, aber die Kirche werden sie ihnen nicht abbrennen.

Dieses Interview ist - in etwas längerer Fassung - zuerst in welt-sichten 4/2014 erschienen.