"Amazing grace": Ein Sklaven-Verschiffer wird Liederdichter

Foto: Wikimedia Commons
Porträt von John Newton.
"Amazing grace": Ein Sklaven-Verschiffer wird Liederdichter
Der Gospel-Song "Amazing grace" zählt zu den bekanntesten Liedern der Welt, interpretiert von Countrysängern, Rockstars und Kirchenchören. Der Text stammt vom Kapitän eines Sklavenschiffs. Dessen Geschichte erzählt nun ein Musical.
20.09.2014
epd
Christian Prüfer

Die erstaunliche Karriere des Liedes "Amazing grace" beginnt vor rund 250 Jahren. John Newton (1725-1807), in Westafrika am Sklavenhandel beteiligt und später Pfarrer, beschreibt das Erlebnis seiner Bekehrung: Er überlebt auf hoher See einen schweren Sturm. Der Song, zu deutsch "Erstaunliche Gnade", wird später von US-Bürgerrechtlern gesungen, erklingt auf Konzerten und in Kirchen auf der ganzen Welt. Von unzähligen Musikern aufgenommen, stand er 1972 sogar an der Spitze der britischen Charts. Auf dem Gospel-Kirchentag in Kassel vom 19. bis 21. September hat nun ein Musical mit dem Namen "Amazing grace" Premiere, das das Leben John Newtons erzählt.

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Eine einfache Saulus-Paulus-Geschichte sei das aber nicht, sagt Andreas Malessa, der den Text des Musicals verfasst hat. Die Schlagzeile "Vom Sklavenkapitän zum Pfarrer" sei zu einfach. Das Leben des John Newton ist eine Fahrt durch menschliche Höhen und Tiefen. Geboren am 24. Juli 1725 in London, verliert er mit knapp sieben Jahren seine Mutter. Als er elf ist, kommt er über seinen Vater zur Seefahrt, wird 1743 von der Royal Navy zwangsweise für ein Kriegsschiff rekrutiert. In Madeira gelingt ihm der Wechsel auf ein Schiff, das Sklavenhandel betreibt. Er gelangt nach Westafrika, wo er als Sklavenaufseher arbeitet.

Newton wird Hafenmeister

Als Newton 1748 in die Heimat zurückkehrt, gerät er mit seinem Schiff in einen verheerenden Sturm, den er nur wie durch ein Wunder überlebt. "Das hat er als eine Rettung Gottes verstanden und später als Bekehrung beschrieben", sagt Andreas Malessa. Eine Bekehrung, die an Newtons Einstellung zur Sklaverei aber vorerst nichts ändert. "Die Sklaverei hat Newton zunächst gar nicht als Unrecht empfunden, er ist sogar Kapitän eines Sklavenschiffes geworden", schildert Malessa.

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Newton heiratet seine Jugendliebe Mary "Polly" Catlett und fährt erneut zur See. Zwischen 1750 und 1754 transportiert er zahlreiche Sklaven aus Westafrika, die unter katastrophalen Bedingungen auf den Schiffen zusammengepfercht werden. Doch Newton kränkelt. Die Transporte, deren Gestank zeitgenössischen Berichten zufolge auf dem Meer noch in einer Meile Entfernung wahrgenommen wird, stoßen ihn zunehmend ab. Also wird er Hafenmeister.

Mehr und mehr wendet er sich der Religion zu, studiert die biblischen Sprachen, dann auch Theologie, und beschließt, Pfarrer werden. Doch die anglikanische Kirche will ihn zunächst nicht. "Er galt als charakterlich labil und theologisch unsicher", sagt Malessa. 1764 schließlich wird er zunächst als Diakon, dann als Pfarrer der anglikanischen Kirche ordiniert.

"Geschichte über Erfahrung der Barmherzigkeit"

1773 ist es dann soweit: Newton schreibt den Text von "Amazing grace", in dem er sein Bekehrungserlebnis in Seenot verarbeitet: "Einst war ich verloren, aber jetzt wurde ich gefunden; war blind, aber jetzt kann ich sehen". Ursprünglich dienten die Verse wohl der dichterischen Illustrierung einer seiner Predigten. Dass dieses Lied 200 Jahre später um die ganze Welt gehen sollte, dieser Gedanke dürfte ihm fremd gewesen sein. Die heute gebräuchliche Melodie taucht erstmals in einem englischen Gesangbuch von 1831 auf. Ihre Herkunft ist nicht geklärt, vermutlich liegen die Wurzeln in den Gesängen der Sklaven.

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Mehr als 30 Jahre nach dem Ende seiner Karriere als Sklavenkapitän geht Newton noch einen Schritt weiter und bringt 1788 eine Schrift mit dem Titel "Gedanken über den Sklavenhandel" heraus. Hier beschreibt er die grausige Realität des Sklavenhandels aus eigener Anschauung und bereut öffentlich, selbst darin verwickelt gewesen zu sein.

Die Schrift erregt Aufsehen, eine Neulauflage wird nötig. Auch William Wilberforce, ein engagierter Kämpfer gegen die Sklaverei, wird darauf aufmerksam. In ihm findet Newton einen engagierten Streiter, der im Parlament für die Abschaffung der Sklaverei eintritt. Rund 20 Jahre später, im Jahr 1807, nur kurz vor Newtons Tod, kommt der Triumph für die britischen Gegner der Sklaverei: England verbietet den Sklavenhandel.

Um das Musical, für das der Norweger Tore W. Aas die Musik komponierte, auch für ein breites Publikum attraktiv zu machen, stellte Malessa zusätzlich die Liebesgeschichte zwischen John und Polly heraus. "Ich wollte eine Geschichte schreiben, die zeigt, dass ein Mensch an der Erfahrung der Barmherzigkeit reifen kann", sagt er. Die Uraufführung am 20. September in Kassel ist schon seit langem ausverkauft. Weitere Aufführungen sind in Ludwigsburg, Minden und Kassel geplant.