Zweiter Weltkrieg: Viele Kirchenleute blieben stumm

Zerstörte Glocke der Kirche St. Stephan in Mainz
Foto: akg-images/Alfons Rath
Zerstörte Glocke der Kirche St. Stephan in Mainz; sie war 1942 bei einem Brand abgestürzt.
Zweiter Weltkrieg: Viele Kirchenleute blieben stumm
Mit dem deutschen Überfall auf Polen begann vor 75 Jahren der Zweite Weltkrieg. Die Kirchen riefen zwar nicht mit "Hurra" zu den Waffen, hielten sich aber mit Kritik zurück. Nur einzelne Geistliche erhoben ihre Stimme - oft mit Konsequenzen.
01.09.2014
epd
Nils Sandrisser
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Die ersten Schüsse des Zweiten Weltkriegs fallen frühmorgens. Kurz vor Sonnenaufgang beschießt das deutsche Schulschiff "Schleswig-Holstein" am 1. September 1939 die polnische Garnison auf der Westerplatte, einer Halbinsel bei Danzig. Aus deutschen Flugzeugen fallen Bomben auf polnische Städte, Panzer rollen über die Grenze. Hitler überfällt den östlichen Nachbarn. Im Reichstag gibt er den Angriff am Vormittag als Verteidigungsaktion aus, eine dreiste Lüge. Es ist der Beginn eines Krieges, der sechs Jahre dauern wird und in dem mehr als 60 Millionen Menschen sterben.

Von den großen Kirchen Deutschlands kommt kaum Widerspruch zu dem Feldzug. Sie fallen - nach einem Wort des evangelischen Widerstandkämpfers Dietrich Bonhoeffer - dem Rad nicht in die Speichen. Ein großes Hurra der Kirchen wie noch im Ersten Weltkrieg gibt es zwar nicht, protestantische und katholische Theologen bleiben angesichts des Kriegsausbruchs aber meist stumm oder äußern sich sogar bestärkend.

Einen Tag nach Kriegsausbruch übernimmt die leitende Kirchenkanzlei der Deutschen Evangelischen Kirche die offiziellen Kriegsziele. "Seit dem gestrigen Tag steht unser deutsches Volk im Kampf für das Land seiner Väter, damit deutsches Blut zu deutschem Blut heimkehren darf", ist in einer Verlautbarung zu lesen.

"Deutsche Christen" setzen NS-Recht innerhalb der Kirche um

"Für das höchste evangelische Gremium stand fest, dass die Verkündigung der Bewährung im Kriegsalltag für das Vaterland zu dienen habe", sagt der Münchener Kirchenhistoriker Harry Oelke. Das habe auch den Tod von Soldaten eingeschlossen. Oelke verweist auf traditionelles lutherisches Staatsdenken, wonach auch einem Adolf Hitler als Kriegsführer eine gottgegebene Autorität zugestanden worden sei.

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Zwei Tage nach den Protestanten wenden sich die katholischen Bischöfe mit einem Hirtenwort an ihre Gläubigen. Sie ermahnen die deutschen Katholiken, ihre Pflicht zu tun und "bereit zu sein, ihre ganze Person zu opfern." Die Oberhirten bitten Gott: "Kürze den Krieg ab, mäßige seine Schrecken und führe ihn zu einem für Volk und Vaterlande segensreichen Erfolge."

Zur Judenverfolgung geben sich die Bischöfe bedeckt. Gegen anderes Nazi-Unrecht werden sie durchaus laut. Der Münsteraner Bischof Clemens August Graf von Galen predigt am 3. August 1941 gegen den Mord an Behinderten und psychisch Kranken. Die NS-Führung überlegt, ihn verhaften zu lassen, doch Goebbels will keinen katholischen Märtyrer schaffen. Galen bleibt frei.

Als der Krieg ausbricht, bilden die evangelischen Kirchen schon längst keine Einheit mehr. Nach der Machtübernahme Hitlers gingen die "Deutschen Christen" dienstfertig daran, das kirchliche Leben nach dem Führerprinzip zu organisieren und NS-Recht innerhalb der Kirche umzusetzen. Dagegen wehrten sich die Anhänger der "Bekennenden Kirche". In der Barmer Erklärung, verabschiedet am 31. Mai 1934 in Wuppertal-Barmen, grenzen sie sich von der Ideologie des Nazi-Staates ab. Von offizieller evangelischer Seite aber gibt es nach Kriegsausbruch kaum noch Widerstand gegen Hitler.

1943 nutzen die Nazis bereits rund 3.400 kirchliche Einrichtungen wie Klöster für militärische Zwecke. Mehr als 20.000 Geistliche dienen in kämpfenden Wehrmachteinheiten, meist als Sanitätssoldaten.

Vor allem Pfarrer der Bekennenden Kirche wurden eingezogen, bemerkt der Heidelberger Kirchenhistoriker Christoph Strohm. Aber es gibt auch Freiwillige: Ausgerechnet der protestantische Widerständler Martin Niemöller, im Ersten Weltkrieg U-Boot-Kommandant, meldet sich für den Dienst in der Kriegsmarine - aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen heraus, wo er bereits seit anderthalb Jahren inhaftiert ist. Das Gesuch wird abgelehnt.

"Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker gebracht worden"

Neben dem Dienst im Militär verfügen die Nazis über weitere scharfe Schwerter gegen unbotmäßige Kirchenleute. Der sogenannte Kanzelparagraph - eine Passage des Strafgesetzbuchs, die noch aus der Kaiserzeit stammt - sieht bis zu zwei Jahre Gefängnis für "Kanzelmissbrauch" vor. Eine mögliche Anklage wegen "Wehrkraftzersetzung" schreckt ebenfalls viele Pfarrer ab. Diesen Tatbestand hatte die NS-Regierung noch kurz vor Kriegsbeginn in Kraft gesetzt.

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Von den Kanzeln kommen deshalb meist keine Plädoyers für Frieden - eindeutig für den Krieg mochten sich viele Pfarrer aber auch nicht aussprechen: "Völkisch-nationalistische Predigten" habe es 1939 kaum gegeben, unterstreicht Wissenschaftler Oelke. Nur vereinzelt erheben Pfarrer ihre Stimme gegen das Schlachten - trotz der Konsequenzen. 1942 etwa wird der Berliner Dompropst Prälat Bernhard Lichtenberg zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Er hatte öffentlich für Juden gebetet.
Lichtenberg stirbt 1943.

Auf der Seite der protestantischen NS-Widerstandskämpfer ist vor allem der Theologe Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) bekannt. Er steht in Kontakt mit den Hitler-Attentätern des 20. Juli 1944. Die Nazis verhaften ihn und richten ihn kurz vor Kriegsende im KZ Flossenbürg hin.

In der "Stuttgarter Schulderklärung" vom Oktober 1945 bekennen die evangelischen Kirchen erstmals ihre Mitschuld am Nationalsozialismus: "Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden".

Literaturhinweise

Christoph Strohm: "Die Kirchen im Dritten Reich", Verlag C.H.Beck, München 2011, 128 Seiten, 8,95 Euro

Thomas Brechenmacher/Harry Oelke (Hg.): "Die Kirchen und die Verbrechen im nationalsozialistischen Staat", Wallstein-Verlag, Göttingen 2011, 324 Seiten, 20 Euro