"Opfer"-Kampagne: Die Überwindung von Widerstand

"Opfer"-Kampagne: Die Überwindung von Widerstand
Darf am Karfreitag getanzt werden? Anlässlich der evangelischen Plakataktion zum Karfreitag haben Menschen in Frankfurt am Main über den Sinn des Feiertags diskutiert und darüber, wie sie ihre "Opferrolle" überwinden können.
03.04.2012
Von Jens Bayer-Gimm

Eine blutig durchbohrte Hand, deren Zeige- und Mittelfinger zum Siegeszeichen gespreizt sind, daneben der Schriftzug "Opfer?" - das Plakatmotiv der Karfreitags-Kampagne der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) ruft gegensätzliche Reaktionen hervor. "Viele sagen, es ist eklig", sagte Kirchenpräsident Volker Jung auf einer Podiumsdiskussion der "Evangelischen Sonntags-Zeitung" am Montagabend in Frankfurt am Main. "Andere sagen, das ist interessant." Das Motiv solle die Frage provozieren, wie sich Kraft daraus ziehen lasse, dass "Jesus Christus Opfer von Hass und Gewalt geworden ist, dies aber überwunden hat".

Die Überwindung von Hass, Gewalt und Widerständen prägte auch die Geschichten der Diskutierenden. "Ich setze dem Bösen Gutes entgegen", erklärte die Künstlerin Gabriele von Lutzau. Aufgrund ihrer Rolle als Stewardess in der 1977 von Terroristen entführten Lufthansa-Maschine "Landshut" wurde ihr die Bezeichnung "Engel von Mogadischu" zugeschrieben. Von Lutzau schafft heute Holzskulpturen. "Ich denke mit der Kettensäge. Sie hilft, Gefühlen Gestalt zu geben." Die Bilder der Lebensbedrohung gingen nie weg. "Aber die Kanten werden abgeschliffen."

Noch am Anfang der Verarbeitung steht der ehemalige Lehrer Horst Arnold, der fünf Jahre lang unschuldig im Gefängnis saß. Als vermeintlicher Vergewaltiger wurde er erst nach Verbüßung der vollen Haftzeit 2006 freigelassen, erreichte dann die Wiederaufnahme seines Verfahrens und wurde im vergangenen Februar rechtskräftig freigesprochen. "Ich bin dabei, Anschluss ans normale Leben zu finden", sagte er. Eine psychotherapeutische Behandlung helfe ihm dabei. Nun kämpft er als Hartz-IV-Empfänger vor Gericht darum, wieder in den Schuldienst aufgenommen zu werden.

"Beim Schritt ins neue Leben bleiben Narben"

"Menschen schöpfen Kraft aus einer starken Seele", erläuterte der Psychologe und Buchautor Holger Schlageter. Ein Opfer müsse das Gefühl haben, etwas verändern zu können. Sonst fühle es sich ohnmächtig und könne sich nur tot stellen. Schlageter brach eine Lanze für den Widerstand: "Ich bin ein Freund der Rache. Es gibt nichts Wichtigeres, als sich zu wehren, um ins Leben zurückzukehren." Der Psychologe kritisierte die Kirche, die "viel zu weit in Richtung Aggressionslosigkeit gegangen" sei.

Kirchenpräsident Jung entgegnete, dass es einen Teufelskreis auslösen könne, wenn Aggression mit Aggression beantwortet werde. Jesus Christus sei es darum gegangen, die Spirale der Gewalt zu unterbrechen. Auf Bildern sei der Auferstandene mit seinen Wundmalen dargestellt. "Beim Schritt in das neue Leben bleiben die Narben." Schlageter gestand zu: "Das Ostertheater ist die bildhafte Umsetzung eines Heilungsprozesses. Es ist die größte Hoffnungsbotschaft, die ich kenne."

Kirchenpräsident Jung: Tanzverbot ist angemessen

Mit der Karfreitagskampagne "Opfer?" reagiert die EKHN auf die kontroverse Debatte um das Tanzverbot an stillen Feiertagen. Das hessische Feiertagsgesetz von 1952 untersagt das öffentliche Tanzen von Gründonnerstag vier Uhr bis Karfreitag um Mitternacht, am Karsamstag von 17 bis 24 Uhr sowie am Ostersonntag und Ostermontag von vier Uhr früh bis zwölf Uhr mittags. Im vergangenen Jahr hatte die Grüne Jugend Hessen zu einem "Tanzflashmob" am Karfreitag auf dem Frankfurter Römerberg aufgerufen. Dabei war es zwischen den rund 1.000 Teilnehmern und den Gläubigen einer katholischen Prozession zu Streitereien gekommen.

In diesem Jahr hat die Piratenpartei in Frankfurt und Gießen zu verbotenen "Tanzflashmobs" am Karfreitag aufgerufen. Kirchenpräsident Jung hob dagegen die Feiertage als "kulturelle Errungenschaft" hervor. So berühre der Karfreitag "die universellen menschlichen Themen des Leidens, des Todes und des Mitgefühls". Deshalb sei das Tanzverbot an dem stillen Feiertag angemessen. "Wir haben viele Tage zum Arbeiten, auch viele zum Feiern. Wir haben nur wenige Tage, die uns an den Ernst des Lebens heranführen. Wenn wir sie nicht hüten und gestalten, dann nehmen wir uns etwas", gab er zu bedenken.

epd