Fasten, Pilgern, Beten? Fromm sein nach Luther

Fasten, Pilgern, Beten? Fromm sein nach Luther
Die evangelische Fastenaktion "7 Wochen Ohne" geht in die 4. Woche. Das aktuelle Thema: "Fromm genug? Aus der Mitte des Herzens glauben". Die Formulierung hätte glatt von Martin Luther stammen können. Der Reformator war zeitlebens ein frommer Mensch. Doch was gehörte bei ihm zur Frömmigkeit? In der Kirche seiner Zeit gab es ein breites Angebot von Frömmigkeitsformen: Fasten, Pilgern, Beten und vieles mehr.
08.03.2012
Von Prof. Dr. Martin H. Jung

Das späte Mittelalter war eine ausgesprochen fromme Epoche. Hoch im Kurs stand die tatkräftige Verehrung der Heiligen. Man rief sie an in der Not, wie Luther die Heilige Anna, als er 1505 als Erfurter Student in eine Gewittergefahr gekommen war. Man besuchte ihre Gräber und ihre Reliquien, wie Luther 1510/11, als er eine Dienstreise nach Rom zeitüblich als Pilgerfahrt gestaltete und an den Gräbern von Petrus und Paulus stand sowie auf der Heiligen Treppe kniete, auf der (angeblich) Jesus in Jerusalem zu seinem Richter Pontius Pilatus geschritten war.

Mit der Heiligenanbetung und der Reliquienverehrung hat der Reformator Luther gebrochen. Das stand einem frommen Evangelischen hinfort nicht mehr gut an. Gedenken und verehren wollte man die Großen der Kirchengeschichte allerdings weiterhin. Besonders Maria stand bei Luther hoch im Kurs. Inzwischen denken aber die meisten Evangelischen, die Verehrung Marias sei etwas ganz und gar Katholisches. In vielen evangelischen Kirchen stehen jedoch noch heute Marienstatuen.

Von dem heute so beliebten Jakobsweg hielt Luther gar nichts

Auch vom Pilgern, zu Luthers Zeit beliebt und auch heute wieder, sogar unter nicht Religiösen wieder hoch im Kurs, hielt Luther nicht mehr viel. Er war sich sicher, dass man Gott in Rom, Jerusalem oder Santiago de Compostela nicht besser dienen könne als zu Hause. Außerdem fand er es problematisch, dass Familienväter Geld und Zeit dafür aufbrachten und ihre Frau und Kinder darüber vernachlässigten. Die praktizierte Nächstenliebe in der eigenen Familie war aus Luthers Sicht Gott wohlgefälliger als eine Pilgerfahrt. Trotzdem lässt sich das Pilgern aus evangelischer Sicht vertreten, wenn es mit den richtigen Absichten und auf die richtige Weise durchgeführt wird und jedem nützt, aber niemandem schadet. Das Thema und Ziel, also der Ort, ist allerdings auch wesentlich.

Gerade von dem heute wieder so beliebten Jakobsweg hielt Luther gar nichts, weil er keinerlei reale historische Grundlage hatte. "Wer weiß, wen sie dort begraben haben?" fragte er rhetorisch. "Jakobus sicher nicht. Vielleicht liegt dort ein toter Hund oder ein totes Pferd im Grab. Bleibt zu Hause!"

In der Tat ist gerade der Jakobsweg eine problematische Angelegenheit. Aus heutiger Sicht muss man nicht nur daran Anstoß nehmen, dass es in Santiago – anders als in Trier – kein echtes Apostelgrab gibt, sondern vor allem daran, dass dieser Weg im Dienste der kriegerischen Zurückeroberung Spaniens durch die katholische Kirche stand. Dieser "Reconquista" fielen unzählige Juden, Moslems und nicht katholische spanische Christen zum Opfer.

Das Gebet ist wesentlich für evangelische Frömmigkeit

Und wie hielt es Luther mit dem Fasten? Für ein besonders wichtiges frommes Werk sah er auch diese Sitte nicht an, hätte aber auch nicht gewagt, fromme Fastende durch ein demonstratives öffentliches Wurstessen zu provozieren, wie die Züricher Reformationsanhänger es 1522 taten. Ein Fasten, das nicht als gutes Werk verstanden würde, hielt Luther durchaus noch für sinnvoll. Maß halten beim Essen, Trinken und Kleiden, den eigenen Leib im Zaum halten – das war für Luther "rechtes christliches Fasten". Es konnte den Menschen dazu bereit machen, das göttliche Wort zu empfangen.

Das Kernelement von Luthers Frömmigkeit und der evangelischen Frömmigkeit ganz generell war aber das Gebet. Und da ist sich der Mönch Luther im Grunde auch ganz treu geblieben, als er zum Reformator wurde. Das Gebet stand schon im Zentrum der mönchischen Frömmigkeit, wie sie Luther von 1505 an im Erfurter Augustinerkloster praktizierte, ja jeder mönchischen Frömmigkeit.

Das Gebet, das Psalmengebet, steht im Zentrum des Mönchseins. Seit 1500 Jahren versammeln sich Mönche mehrmals am Tag, um gemeinsam die Psalmen zu beten. Für den Reformator Luther blieb das Gebet das wichtigste Element seiner täglichen Frömmigkeitspraxis. Auch die Psalmen schätzte er zeitlebens, wovon seine schönen Psalmlieder noch heute zeugen. Allerdings stellte Luther das regelmäßige Herunterbeten des Psalters schon 1520 ein und propagierte eine neue Weise zu beten. Sein selbst praktiziertes und auch anderen empfohlenes Ideal war das meditierende Sprechen und Beten des Vaterunsers, des Glaubensbekenntnisses und der Zehn Gebote.

"... die ganze Christenheit und alle frommen Christen"

In einer kleinen Gebetsanleitung, 1535 für einen "guten Freund" verfasst und vielfach gedruckt, schilderte er, wie man vorzugehen habe. Zum Beten ging Luther in sein Zimmer – oder in die Kirche. Die Texte murmelte er halblaut vor sich hin, "gerade so wie es die Kinder tun". Frühmorgens war für ihn das Gebet das erste und spätabends das letzte Werk. Er kniet nieder oder er steht mit gefalteten Händen, die Augen zum Himmel gerichtet. Das Amen spricht er laut und stark, denn er ist sich gewiss, dass Gott sein Gebet hört und erhört. Die Kraft des Gebets resultiert nach Luther aber auch aus seinem verborgenen gemeinschaftlichen Charakter: "Bedenke, dass du nicht alleine hier kniest und stehst, sondern die ganze Christenheit und alle frommen Christen bei dir und du unter ihnen in einmütigem, einträchtigen Gebet, das Gott nicht verachten kann."

Luthers Gebetsanleitung "Eine einfältige Weise zu beten" ist auch heute noch aktuell, ja faszinierend. Im Jahre 2011 wurde sie, gleich zweimal, wieder neu herausgegeben. Die eine Ausgabe erschien, redigiert von zwei evangelischen Theologen, bei Vandenhoeck & Ruprecht, einem dezidiert evangelisch ausgerichteten Verlagshaus. Die andere Ausgabe des Jahres 2011 erschien – und das ist nun etwas wirklich Besonderes und Bemerkenswertes – im Vier-Türme-Verlag der Benediktinerabtei Münsterschwarzach. Und ein evangelischer Kirchenhistoriker durfte die Einleitung schreiben. Ein katholischer Verlag verbreitet die Gedanken Luthers, freilich nicht seine Papstkritik, sondern seine Gebetsimpulse. Gleichwohl zeigt dies, wie nahe sich evangelische und katholische Frömmigkeit 500 Jahre nach der Reformation gekommen sind. Hätte Luther damit gerechnet?

Auch Musik und Bilder stehen im Dienste Gottes

Das Gebet war für Luther das Wichtigste, aber unabdingbar gehörte für ihn zum frommen Leben auch der Besuch des Gottesdienstes, das Hören der Predigt, der Empfang des Abendmahls, der Gesang kirchlicher Lieder und das Lesen der Bibel. Ebenfalls konnten für ihn die Musik und die Bilder, anders als für die Schweizer Reformatoren, weiter im Dienste Gottes stehen.

Luther führte ein frommes Leben und wollte die evangelischen Christen zu einem frommen Leben anleiten. Aber wie wird man fromm? Frömmigkeit kann man und muss man lernen und üben. Deswegen verfasste Luther auch seine Katechismen. Aber die Grundlage für jedes fromme Leben bildet der Glaube, auf den alles ankommt und von dem alles abhängt. Allein der Glaube macht den Menschen fromm, frei, selig, gerecht. Und der Glaube ist ein Geschenk Gottes, um das man Gott allerdings bitten kann und soll – im Gebet.


Martin Jung ist Professor für evangelische Theologie an der Universität in Osnabrück.