Beim Beten weggetragen: Polizei räumt "Occupy London"-Camp

Beim Beten weggetragen: Polizei räumt "Occupy London"-Camp
Vor der St.-Paul's-Kathedrale in London sind in der Nacht zum Dienstag rund 100 Polizisten gegen ein Lager der Occupy-Bewegung vorgegangen. Seit Mitte Oktober 2011 wird dort protestiert.
28.02.2012
Von Christiane Link

Es war ein befremdliches Bild, das sich Beobachtern am frühen Dienstagmorgen im Herzen der britischen Hauptstadt bot: An einer der bekanntesten Sehenswürdigkeiten Londons, der St. Paul's Cathedral, liefen Hundertschaften der Polizei in voller Kampfmontur auf.

Gemeinsam mit Dutzenden Gerichtsvollziehern in orangefarbenen Warnwesten beendeten sie nach mehr als vier Monaten das bunte Treiben des "Occupy London"-Camps vor den Stufen des Gotteshauses. Auch auf den Stufen der Kathedrale wurden Betende, die sich mit den Aktivisten solidarisch erklärten, einfach weggetragen.

Vorausgegangen war eine Gerichtsentscheidung des höchsten britischen Gerichts, wonach die Aktivisten mit ihren rund 100 Zelten Bau- und Wegerecht missachteten. Das Gericht ließ keine weitere Beschwerde der Aktivisten gegen das Urteil zu. Damit war in der vergangenen Woche der Weg für die Räumung des Camps frei.

Jeden Tag rechneten die Aktivisten seit der Entscheidung nun mit der endgültigen Räumung ihres Camps. Einige hatten das Zeltlager unterdessen freiwillig verlassen und ihre Zelte abgebaut. Auch das Küchenzelt, das die Demonstranten in den vergangenen Monaten versorgt hatte, war vergangene Woche bereits abgebaut worden.

Nächtliche Polizeiaktion

In der Nacht von Montag auf Dienstag war es dann soweit: Kurz nach Mitternacht begannen die Behörden damit, Zelte niederzureissen und zur Entsorgung wegzufahren. Sie forderten die Aktivisten auf, binnen fünf Minuten das Camp zu verlassen. Zuletzt waren nur noch rund ein Dutzend Protestler übrig, die sich auf einem aufgetürmten Gebilde aus Paletten gegen die Räumung friedlich zur Wehr setzten.

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Unterstützt wurden sie von einer Hand voll Christen, die einem Aufruf zu einem solidarischen Gebet auf den Stufen der Kirche gefolgt waren. Doch auch vor den Betenden machte die Londoner Polizei nicht Halt. "Ich kniete auf den Stufen der Kathedrale und betete als ich getreten und weggetragen wurde", teilte Jonathan Bartley, Direktor des christlichen Thinktanks "Ekklesia", über den Kurznachrichtendienst Twitter mit.

Die örtlichen Behörden, die die Räumung angeordnet hatten, teilten in einer Stellungnahme mit, sie bedauerten, dass es zu einer Räumung kommen musste, aber die Entscheidung des Gerichts spreche für sich. Dan Ashman, einer der Aktivisten von Occupy London, sagte, das Camp sei erst der Anfang einer viel größeren Bewegung. Aus Occupy London müsse "Occupy everywhere" (Besetzt alles) werden. Man müsse den "Betrug verhindern, für den unsere Kinder zahlen werden", sagte er in Bezug auf das Wirtschafts- und Finanzsystem.

Passive Haltung der Kirche in der Kritik

Am 15. Oktober vergangenen Jahres hatten die Aktivisten ihre Zelte rund um die St. Paul's Cathedral aufgeschlagen, um gegen das Wirtschaftssystem zu demonstrieren. Die Kirchengemeinde hatte nach einigem Hin und Her und nicht zuletzt dem Rücktritt ihres Domherren Giles Fraser, davon abgesehen, rechtlich gegen die Demonstranten vorzugehen und die rechtliche Auseinandersetzung den lokalen Behörden überlassen.

Diese passive Haltung der anglikanischen Kirche wurde von vielen Seiten kritisiert. Man warf der Kirche vor, in erster Linie aus kommerziellen Gründen die Demonstranten vor ihrem Gotteshaus möglichst schnell wieder loswerden zu wollen, um keine Einnahmeverluste hinnehmen zu müssen.

In Anspielung auf die teuren Eintrittspreise der Kirche - eine Besichtigung kostet 14,50 Pfund (etwa 17 Euro) - schrieb der Korrespondent des Politik-Magazins "New Statesman", David Allen Green, spöttisch: "St. Paul's kann jetzt wieder ein Ort der friedlichen und besinnlichen Ausbeutung von Touristen werden."


Christiane Link ist in Mainz geboren und arbeitet in London als Herausgeberin der deutschsprachigen Zeitung "The German Link". Daneben betreibt sie ihr Blog mit dem Titel "Behindertenparkplatz".