"Mülltaucher" vor Gericht überraschend freigesprochen

"Mülltaucher" vor Gericht überraschend freigesprochen
Ein "Mülltaucher", der abgelaufene Kekse aus dem Container einer Großbäckerei in Lüneburg gefischt hat, ist am Montag freigesprochen worden. Ob das Entwenden weggeworfener Lebensmittel illegal ist, wurde allerdings nicht verhandelt.

In dem seit Anfang Januar laufenden Prozess wegen Hausfriedensbruchs sei es allein darum gegangen, ob der Angeklagte Karsten H. in der Tatnacht unerlaubt das eingezäunte Betriebsgelände der Bäckerei betreten habe, betonte die Vorsitzende Richterin am Landgericht Lüneburg. Dies habe ihm jedoch nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden können. (Az.: 29NS/1106 Js21744/10 16/11)

Widersprüchliche Zeugenaussagen

Obwohl die Verhandlung als "Keks-Prozess" öffentliche Aufmerksamkeit erregte, wurde nicht erörtert, ob es eine Straftat ist, abgelaufene Lebensmittel aus einem Container zu entwenden. Am Montag sagten zwei Wachmänner aus, die den Angeklagten und einen Begleiter außerhalb des Geländes festgehalten hatten. Zudem wurden Polizisten befragt, die einer der Wachmänner herbeigerufen hatte. Sie hatten bei einer Durchsuchung Kekse bei Karsten H. und seinem Begleiter entdeckt.

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In ihren Aussagen sah das Gericht jedoch Widersprüche und Erinnerungslücken. "Seit dem Vorfall ist eine ganze Menge Wasser die Elbe hinunter geflossen", sagte die Richterin. Es sei versäumt worden, die Wachmänner als maßgebliche Zeugen zeitnah zu vernehmen. Sie seien erst in der ersten Instanz vor dem Amtsgericht Lüneburg formell befragt worden.

Kritik an der Nahrungsverschwendung

Das Amtsgericht hatte den 52-Jährigen zu einer Geldstrafe von 125 Euro verurteilt. Dagegen ging der Mann in Berufung. Karsten H. bezieht nach eigenen Angaben zurzeit keinerlei Einkommen. Er lebe vom "Containern", sagte er dem epd. Er sammle aber noch genießbare Waren auch deshalb aus dem Müll, um dagegen zu protestieren, dass immer wieder Lebensmittel vernichtet würden. Nach seiner Auffassung stand er auch wegen seiner Haltung als bekannter Atomkraftgegner vor Gericht.

Verfahren wegen des "Containerns" hat es in Deutschland schon einige Male gegeben Sie wurden zumeist wegen Geringfügigkeit eingestellt. Das stand auch im Lüneburger Prozess mehrfach zur Diskussion. Die Staatsanwaltschaft hatte dafür zur Bedingung gemacht, der Angeklagte müsse sich umfassend zur Tat äußern. Dies hat Karsten H. aber bis zuletzt nicht getan.

Sein Verteidiger forderte mehrfach die Einstellung, weil das umfangreiche Verfahren nach seiner Ansicht in keinem Verhältnis zum Tatvorwurf stand. So sei selbst Interpol in die Suche nach dem Franzosen eingeschaltet gewesen, der gemeinsam mit Karsten H. in der Tatnacht aufgegriffen worden war. Gegen diesen Mann war das Verfahren bereits in der ersten Instanz eingestellt worden.

Trend aus den USA

Die Suche nach abgelaufenen, aber noch genießbaren Lebensmitteln in Abfallbehältern wird "Containern" genannt. Die Anhänger nennen sich Mülltaucher. Sie verstehen ihre Aktionen in erster Linie als Kritik an Kapitalismus und Wegwerfgesellschaft. Mülltaucher wollen für einen bewussteren Umgang mit Lebensmitteln werben. Viele gehen einem geregeltem Job nach und handeln nicht aus Not. In speziellen Internet-Blogs berichten die Resteverwerter über ihre Beutezüge.

Die Bewegung entstand Mitte der 90er Jahre in den USA. In Städten wie New York gab es dort sogar eigene "Trash Tours", Container-Führungen für Neulinge in dieser Szene.

Rechtlich ist das "Containern" hierzulande heikel: Seine Anhänger können wegen Hausfriedensbruchs oder gar Diebstahls belangt werden. Selbst Abfall hat juristisch einen Eigentümer, auch wenn derartige Verfahren oft wegen Geringfügigkeit eingestellt werden.

epd/dpa