Auch Straßenmagazine spüren die Finanzkrise

Auch Straßenmagazine spüren die Finanzkrise
Die Meldungen über die Finanzkrise in Europa sorgen in den Tageszeitungen für Schlagzeilen. Nachrichtenmagazine veröffentlichen zahlreiche Dossiers darüber. Und auch im Fernsehen ist die Krise ein Thema. Dabei stehen nicht nur Fakten im Mittelpunkt, auch Wirtschaftsexperten und Betroffene kommen zu Wort. Für diejenigen, die ganz unten angekommen sind, bedeuten Straßenmagazine ein Sprachrohr. Die Finanzkrise hinterlässt auch in diesen Zeitungen ihre Spuren. Allerdings eher in der indirekten Berichterstattung und hinter den Kulissen.
20.12.2011
Von Rosa Legatis

Die Finanz- und Eurokrise in Europa ist derzeit in aller Munde, die Massenmedien berichten regelmäßig. Auch in Straßenmagazinen ist die Krise ein Thema, allerdings berichten diese selten über aktuelle Entwicklungen. "Wir schreiben nicht über den Stellenabbau bei Nokia, sondern über den Mitarbeiter, der dort seinen Arbeitsplatz verloren hat und welche Folgen dies für ihn hat", erzählt Johannes Denninger von der Münchner Straßenzeitung "Biss".

Eine aktuelle Berichterstattung sei auch gar nicht möglich, da das Magazin monatlich erscheine. Auch in der hannoverschen Straßenzeitung "Asphalt" wird die Wirtschaftskrise thematisiert. "Wir berichten natürlich darüber, weil wir über Menschen schreiben, die arm sind. Wo werden Leistungen gestrichen, wie wirkt sich der allgemeine Sparkurs auf das Leben der Menschen aus, das sind unsere Themen", sagt Geschäftsführerin Almut Maldfeld. Das zeige Wirkung. "Die Politiker in Hannover nehmen uns ernst." Die Redaktion beziehe Stellung in aktuellen politischen Debatten. So zum Beispiel als es in der Stadt um die Pläne für ein Sozialticket ging, eine vergünstigte Fahrkarte für Bedürftige im öffentlichen Nahverkehr.

Es werden weniger Anzeigen geschaltet

Allerdings hat Hannovers Straßenzeitung ein ähnliches Problem wie das Magazin "Trott-war" in Stuttgart: Die Anzeigen von Unternehmen sind in den vergangenen zwei Jahren zurück gegangen. Bei der niedersächsischen "Asphalt" waren es rund sechs Prozent Einbußen in diesem Bereich – "das sind etwa 4.000 Euro, viel Geld für uns", sagt Almut Maldfeld. Wobei der befürchtete Rückgang bei Firmenspenden ausbliebt.

Ein noch viel größeres Problem zeigt sich bei den Finanzen für die Herausgeber aus Stuttgart. Laut Chefredakteur Helmut Schmid wurden 2009 und 2010 fast 50 Prozent weniger gewerbliche Anzeigen geschaltet - im Schnitt 50.000 Euro weniger Einnahmen pro Jahr. "Und der Bereich hat sich bislang kaum erholt", so Schmid. Die Spenden blieben davon unberührt, es gingen sogar mehr ein. Ein wichtiger Faktor: Denn neben dem Anzeigengeschäft sorgen Spenden und der Verkauf für die finanzielle Ausstattung der Redaktionen der Straßenmagazine. Nun soll der Bereich Anzeigen in Stuttgart professionalisiert werden. Bislang habe ein Mann dies allein am Telefon übernommen, so Schmid.

Die Verkaufszahlen sind nicht betroffen

Auch der "Straßenkreuzer" in Nürnberg braucht zur Finanzierung Anzeigenkunden - auch wenn es hier bislang keine unüblichen Schwankungen gegeben habe, sagt Redakteur Martin Schano. Beim Magazin gibt es jeden Monat einen Themenschwerpunkt. So lautet der Titel der ersten Ausgabe im neuen Jahr: "Frostige Zeiten" – ein Heft über soziale Missstände. "Teilweise reagieren die Anzeigenkunden auf diese Titelthemen und schalten eine passende Werbung." Zeitgleich werde in der Redaktion darauf geachtet, dass der redaktionelle Anteil passend zu den Anzeigen erhöht oder verringert wird. Die Auflagenhöhe liegt derzeit durchschnittlich bei 14.000 Stück. Schano ist der Meinung, dass sich das Konzept der Zeitung positiv auf die Verkaufszahlen auswirkt: "Wir wollen nicht das anklagende Magazin sein, sondern unterhalten und Wissen vermitteln – auch über kritische Themen."

In München hat sich die Krise bislang nicht auf die Verkaufszahlen ausgewirkt. "Die steigen sogar gerade", sagt Denninger von "Biss" und freut sich: Die Novemberausgabe sei erstmals schon am 24. des vergangenen Monats ausverkauft gewesen. "Das hatten wir noch nie." Das Magazin gibt alle Spenden weiter an die Verkäufer. Die Zeitung muss sich aus dem Verkauf und Anzeigen finanzieren. Eine weitere Einnahmequelle sind Bußgeld-Zahlungen, die Gerichte dem Magazin zuweisen. Ein Großteil der Verkäufer ist festangestellt. Dennoch ist Denninger klar, "in dem Moment, wo ich mich hinstelle und 'Biss' verkaufe, zeige ich: Ich bin arm."

Ein Umdenken macht sich bemerkbar

Denninger hat allerdings schon einen Umschwung in der Bevölkerung festgestellt. Obdachlose würden nicht mehr als "Penner und Trinker, sondern als Menschen wahrgenommen". Auch in Hannover zeige sich ein verändertes Bewusstsein bei den Bürgern, berichtet die Geschäftsführerin von "Asphalt". Für viele zähle die Situation vor der eigenen Tür: "Bevor ich an ein armes Kind in einem anderen Land spende, schaue ich, wo ich vor Ort etwas tun kann."

Für das kommende Jahr gibt es bei den Machern der Straßenzeitungen nur ein Ziel: weitermachen. "Wir fangen viele Menschen auf, die in Hoffnungslosigkeit leben, wir sind auch ein Würdeprojekt", sagt Almut Maldfeld von "Asphalt". Und "Straßenkreuzer"-Redakteur Martin Schano zitiert einen der Gründer des Sozialmagazins, Peter Meusch, wenn es um Frage geht, ob es auch künftig Straßenmagazine geben wird: "Ich fürchte ja; ich hoffe schon."


Rosa Legatis arbeitet als freie Journalistin in Hannover.