Der Calvinist aus Holland und seine vielen Heiligen

Der Calvinist aus Holland und seine vielen Heiligen
Im Heiligenmuseum im niederländischen Vaals sind jede Menge neugotische Heiligenfiguren zu sehen - gesammelt von einem Calvinisten. Wie geht das zusammen?
15.11.2011
Von Klaus Schlupp

Die Oma war gar nicht begeistert, als Enkel Gert de Weerd vor 25 Jahren mit seinem ersten Heiligenbild ankam. Denn der Ex-Galerist kommt aus der Amsterdamer Gegend und selbstverständlich aus einer niederländisch-reformierten Familie. Und für holländische Calvinisten, die sich streng an das biblische Bilderverbot halten, bedeutet so ein Heiligenbild den Freifahrtschein erster Klasse zur Hölle. Doch der Ausdruck tiefer katholischer Frömmigkeit, den die Bilder ausstrahlen, hat den calvinistischen Jungen gepackt.

So ist in den vergangenen 25 Jahren eine Sammlung religiöser Kunst aus dem 19. Jahrhundert entstanden, die ihresgleichen sucht, und aus dem Hobby wurde eine Profession. Mit der ihm eigenen Tüchtigkeit ging de Weerd ans Werk und fand in einem ehemaligen Kamillianerkloster in Vaals den richtigen Platz für ein Heiligenmuseum. Am Rand eines großen Parks, in dem auch schon die ersten steinernen Heiligenfiguren stehen, erhebt sich an der Straße die Kapelle. Daran schließt sich das Haupthaus aus dem 18. Jahrhundert an, das bis zur Klostergründung durch deutsche Kamillianer einem reformierten Nadelfabrikanten gehört hatte.

Zur Rechten gibt das Café einen Vorgeschmack dessen, was im Museum zu erwarten ist: Der Gast nimmt Platz auf neugotischen Stühlen aus einem aufgehobenen Nonnenkloster mit Spitzbögen, der Tresen besteht aus Teilen eines alten Chors. Auch an den Wänden hängen diverse Bilder von Heiligen oder aus der biblischen Geschichte, oft im reinsten Nazarenerstil. "Besonders für ältere Menschen ist das ein echtes "feest van herkenning" (Fest des Wiedererkennens), sagt auch de Weerd.

Die Erotik des heiligen Rochus

Als "herkenning" bezeichnen Niederländer die Überraschung, wenn man einst Vertrautes wiedersieht. Denn ältere Menschen kennen diese Art religiöser Kunst noch aus ihrer Jugend, und mancher von ihnen dürfte diese ererbten Kunstwerke auch als "Kitsch" dem Sperrmüll übergeben haben, wie es auch beim nachkonziliaren Bildersturm mancher Heiligenfigur in den Kirchen ergangen ist.

Doch Kitsch ist diese Kunst des 19. Jahrhunderts wahrlich nicht. "Die Bilder und Skulpturen haben eine unwahrscheinlich beruhigende Wirkung, die Menschen werden leiser", sagt Gert de Weerd. Leicht zu finden sind solche Statuen nicht. "Dieser Altar lag lange in einer Garage", sagt de Weerd und zeigt auf einen großen Marienaltar, der im Haupthaus aufgestellt ist.

Die alte Kirche des Kamilianerklosters ist das eigentliche Museum. Links und rechts des Ganges zeigt sich das neue Jerusalem. 200 Heiligenfiguren schauen den Betrachter lebensecht an und präsentieren ihre Attribute. Jean-Baptiste Marie Vianney, der Pfarrer von Ars, steht fast fotorealistisch in Rochette und Stola betend da.

Der heilige Rochus ist gleich mehrfach vertreten, mit und ohne sichtbar blutendes Bein. "Der mit bedecktem Bein kommt aus einem Nonnenkloster, denen war ein nacktes Knie wohl zu erotisch", vermutet de Weerd.

Der Museumspate: ein Tätowierer

Alle Figuren geben Zeugnis von einer schwierigen Epoche der Kirchengeschichte. Mit dem Aufkommen des Liberalismus sah sich die Kirche in einer Abwehrstellung. Man besann sich auf den Papst als sichtbares Oberhaupt und sah in ihm einen Schutzherrn im Kampf gegen modernistische Tendenzen. Das Mittelalter mit seiner (scheinbaren) Einheit des Christentums und der geistlichen Einheit von Papst- und Kaisertum war das Vorbild für eine spirituelle und theologische Erneuerung der Kirche nach den Wirren von Aufklärung und Französischer Revolution.

Thomas von Aquin wurde Basis jener neuscholastischen Theologie. Genau diese Haltung spiegelt sich im Baustil der Kirchen und bei den Heiligenfiguren in Vaals wieder. So sind die Heiligenfiguren auch Forschungsobjekt. Um die Forschung voranzutreiben, wurde eine Stiftung gegründet, die die Figuren auch der Wissenschaft zugänglich machen und auch sonst Öffentlichkeitsarbeit und Ausstellungen im Museum organisieren will.

Wo früher der Altar stand, ist jetzt ein Heiligengrab aufgebaut. Direkt neben dem Grab findet sich etwas, was so gar nicht in ein Museum für neugotische sakrale Kunst zu passen scheint: Ein in Öl gemalter neuzeitlicher Christuskopf mit Dornenkrone erinnert verdächtig an eine Tätowierung. Das ist kein Zufall, denn der bekannteste niederländische Hautkünstler Henk Schifferman, der sich schon auf Rücken und Oberarmen so manches Rockstars von Weltrang verewigen durfte, ist Museumspate.

Ohne Subventionen überlebensfähig

Die Begegnung des 19. Jahrhunderts mit der Moderne ist hier durchaus Programm, denn das Museum plant auch Ausstellungen mit Werken moderner Künstler, die so einen reizenden Kontrast zu den alten Figuren bilden. Zweiter Pate ist der Roermonder Weihbischof Everard de Jong, der auch von dieser würdigen Präsentation religiöser Kunst begeistert war und bei der Museumseinweihung 2009 jede Statue und jedes Bild segnete.

Kaufmännisch betrachtet brauchte es großen Mut, um mit einem Museum eine Existenz aufzubauen. Aber es scheint geklappt zu haben, denn immerhin arbeitet im Museum neben Ehrenamtlichen auch ein hauptamtlicher Mitarbeiter. Auch das schicke Restaurant und die Veranstaltungsräume, wo Hochzeit, Kinderkommunion und Geburtstage in neugotischer Umgebung gefeiert werden, tragen zur wirtschaftlichen Basis des Unternehmens bei - staatliche Subventionen bekommen Gerd de Weerd und seine surinamische Ehefrau Ivy Wolff nämlich nicht.

Das geräumige Anwesen muss sich daher durch Spenden und den Erlös aus Eintrittsgeldern, Events, Kaffee und Schnitzeln finanzieren. Sogar eine Filiale des lokalen Standesamtes befindet sich im Museum. Eine große Christusstatue mit Stigmata und blutendem Herzen flankiert von Bildnissen etwa der heiligen Germana von Pibrac (1559 - 1601) sorgt dafür, dass selbst die bürgerliche Eheschließung ein wenig unter den Augen des Herrn stattfindet.

Und Oma de Weerd? Die ist bereits lange verstorben und dürfte sich im Himmel gemeinsam mit den zahlreichen Heiligen von Herzen darüber freuen, welch fruchtbare ökumenische Symbiose katholische Frömmigkeit mit dem calvinistischen Pioniergeist und der Geschäftstüchtigkeit ihres Enkels eingegangen ist.

Das Museum ist täglich außer montags von 10.30 bis 17.30 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 5 Euro. Gruppen können sich unter 0031/3060080 zu einer Führung auch in deutscher Sprache anmelden.


Dr. Klaus Schlupp ist freier Journalist in Aachen.