Seelsorge: Beistand für muslimische Kranke

Seelsorge: Beistand für muslimische Kranke
In Deutschland leben zwischen 3,8 und 4,3 Millionen Muslime. Damit sie auch im Krankheitsfall seelsorgerische begleitet werden können, wurden in Frankfurt jetzt die ersten zehn muslimischen Krankenhausseelsorger ausgebildet - in Zusammenarbeit mit der evangelischen und katholischen Kirche.
24.10.2011
Von Lieselotte Wendl

Ein ungewöhnlicher Anblick im Frankfurter Haus am Dom: Auf der Empore im Treppenhaus stehen vier Männer und beten. Die Bewegungen ihrer Hände zeigen, dass sie Muslime sind. Es ist zehn vor vier am Nachmittag, Zeit für das rituelle Nachmittagsgebet. Nur wenig später werden im großen Saal, ein Stockwerk tiefer, fünf Männer und fünf Frauen ihr Zertifikat als muslimische Krankenhausseelsorger erhalten. Eine bisher einmalige Sache in Deutschland, geht ihre Ausbildung doch auf eine enge Kooperation zwischen evangelischer und katholischer Klinikseelsorge, der Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie und dem Grünen Halbmond in Frankfurt zurück. 

In 216 Stunden haben diese zehn Personen über acht Monate hinweg gelernt, wie man Gespräche mit kranken Menschen führt, welches die religiösen und kulturellen Bedürfnisse der Menschen sind, wie man mit Konflikten umgeht. Sie haben sich mit psychologischen und juristischen Grundlagen von Seelsorge ebenso befasst wie mit verschiedenen Seelsorgekonzepten und – natürlich – islamischen Glaubensfragen.

Dass dies in enger Zusammenarbeit mit den entsprechenden Stellen der evangelischen und katholischen Kirche geschah, nennt die evangelische Pröpstin in Frankfurt, Pfarrerin Gabriele Scherle, "fast revolutionär". In Frankfurt, in der Menschen vieler Kulturen und Religionen miteinander leben, sei eine solche Entwicklung aber unausweichlich gewesen, sagte die Pröpstin. "Nur, wenn wir uns gemeinsam auf den Weg begeben, können wir dem Frieden der Stadt und der Gesellschaft dienen",  ist ihre Überzeugung. 

"Mein Herz begann zu klopfen, wenn ich ein Zimmer betrat"

"Nicht alle Fragen sind geklärt", sagt Pfarrer Winfried Hess, der die evangelische Seelsorgeausbildung verantwortet. Aber sowohl Christen wie Muslime hätten viel gelernt auf diesem gemeinsamen Weg. Und es seien nicht immer die Unterschiede, die erstaunten. Vielmehr gebe es viele Gemeinsamkeiten, etwa die Erkenntnis, dass es ums aktive Zuhören gehe und die Seelsorger die Menschen dabei unterstützen müssten, ihre eigenen Kraftquellen zu erschließen.

Initiator dieser Ausbildung ist der Vorsitzende des Grünen Halbmonds in Frankfurt, Moustafa Shahin. Er selbst hat bei den christlichen Kirchen die Ausbildungen für Klinik- und Notfallseelsorge und für die Hospizbegleitung absolviert, nachdem er in einem Pflegeheim einen muslimischen Bewohner bis zum Tod begleitet hatte. Religiöse Rituale wie das Sprechen eines Bittgebets oder das Lesen von Suren aus dem Koran erfüllten nicht alle Bedürfnisse, die sich bei einem oft schwer kranken Menschen im Krankenhaus einstellten, sagt er. Daher freut er sich auch besonders, das sogar zwei Imame die Ausbildung gemacht haben.

Ein besonderer Teil der Ausbildung war die 45-stündige Mitarbeit bei der Klinikseelsorge in einem der großen Krankenhäuser Frankfurts. Songül Yasar etwa wurde auf der Gynäkologie der Universitätsklinik eingesetzt. "Mein Herz begann zu klopfen, wenn ich das Zimmer einer Kranken betrat", sagt sie. Doch die Dankbarkeit der Frauen für ihren Besuch habe es ihr dann doch leicht gemacht. Die 26-Jährige lobt auch die große Offenheit der Pflegekräfte. Diese hätten ihre Mitarbeit als Entlastung empfunden, wüssten sie doch selbst oft nicht, wie sie sich gegenüber Kranken mit einer ihnen fremden Religion verhalten sollten. Die Berufsschullehrerin Yasar wird künftig zwei Stunden in der Woche für ihre ehrenamtliche Arbeit aufwenden.

Das Projekt orientiert sich an Standards für Pastoralpsychologie

Das Projekt orientiert sich an den Standards der Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie. Schweigepflicht, keine Missionierung und kein Druck sind nur einige dieser Standards, auf die die Teilnehmenden sich verpflichteten. Eine ähnliche Ausbildung haben vor einem Jahr 27 Muslime in Wiesbaden abgeschlossen. Dort zeichnete die Stadt für das Projekt MUSE (Muslimische Seelsorge) verantwortlich. Die Ausbildungsinhalte wurden von einer Islamwissenschaftlerin entwickelt und von einem Beirat aus Fachleuten unterstützt, dem neben etwa Juristen und Psychologen auch Klinikseelsorger der christlichen Kirchen angehörten. 

Auch in der Notfallseelsorge gibt es eine enge Zusammenarbeit mit den christlichen Kirchen, die in diesem Bereich Konzepte entwickelt und Erfahrungen gesammelt haben. So fand etwa 2009 ein entsprechender Kurs in Köln statt, zu dem auch das Buch "Notfallbegleitung für Muslime und mit Muslimen" erschienen ist.

Eine Notfallseelsorgeausbildung läuft seit September auch beim Grünen Halbmond in Frankfurt. Aber auch für die Klinikseelsorge wird es weitere Ausbildungsgänge geben, davon ist Moustafa Shahin überzeugt. Immerhin gebe es mehr als 30 Krankenhäuser in Frankfurt – und Interessenten gebe es auch schon genug.


Lieselotte Wendl arbeitet als freie Journalistin in Frankfurt.