Ferien im Flüchtlingslager: Eine Hebamme in Dolo Ado

Ferien im Flüchtlingslager: Eine Hebamme in Dolo Ado
Ferien einmal ganz abseits von Meer und Bergen: Die niederländische Hebamme Roos Ament hat ihren Urlaub im äthiopischen Flüchtlingslager Dolo Ado verbracht.
09.09.2011
Von Carola Frentzen

Der Urlaub von Roos Ament sah in diesem Jahr anders aus als für die meisten ihrer niederländischen Mitbürger. Statt sich in Spanien oder Italien am Meer zu aalen, flog die 51-Jährige ins äthiopische Flüchtlingslager Dolo Ado an der somalischen Grenze.

Grundrecht auf eine gesunde Geburt

Hier arbeitete die Kinderkrankenschwester und Hebamme einen Monat lang unermüdlich für die Organisation "Ärzte ohne Grenzen", schluckte Staub, weinte mit hungernden Kindern und freute sich über jedes neues Leben, dem sie auf die Welt helfen konnte. "Ich hatte einfach das Gefühl, dass ich in dem Camp mehr gebraucht wurde als in Spanien", erklärte Ament ihre Entscheidung der Deutschen Presse-Agentur.

"Ich dachte einfach, dass ich mit meiner Erfahrung die Richtige für diese Arbeit bin, und ich sah dies auch als große persönliche Bereicherung für mein eigenes Leben." Inspiriert habe sie die Überzeugung, dass jede Frau ein Grundrecht auf eine gesunde Geburt ihres Kindes hat. "Und in solchen Notsituationen wie der derzeitigen Dürre am Horn von Afrika wird das oft vergessen und nicht als Priorität angesehen", sagt Ament.

"Ich will nicht wütend sein"

In Dolo Ado im Süden Äthiopiens haben bereits 120.000 Menschen überwiegend aus dem Bürgerkriegsland Somalia Zuflucht vor der katastrophalen Dürre gesucht. Viele kommen völlig ausgemergelt und unterernährt in dem Camp an und brauchen dringend medizinische Hilfe.

Warum so viele Menschen der afrikanischen Hungerkatastrophe gleichgültig gegenüberstehen und nur zusehen statt zu handeln, kann Ament nicht verstehen. "Ich habe es aufgegeben mich zu fragen, warum manche Leute nichts tun, denn das macht mich wütend - und ich will nicht wütend sein", sagt sie. "Ich denke, dass jeder Mensch letztlich das tut, was ihm zu diesem Zeitpunkt seines Lebens möglich ist."

Ament, die heute in der Nähe von Amsterdam lebt, ist an Krisen gewöhnt. Sie arbeitet bereits seit 33 Jahren im Gesundheitswesen und war schon 1986 zum ersten Mal mit Ärzte ohne Grenzen unterwegs: damals im Bürgerkriegsland Uganda. Mit Äthiopien verbindet sie eine besondere Beziehung, hat sie doch hier bereits zwischen 1992 und 1998 gelebt, als sie für eine private Organisation in den Elendsvierteln der Hauptstadt Addis Abeba arbeitete. Nicht nur wurden ihre drei Kinder in dem ostafrikanischen Land geboren, sie spricht auch fließend die Landessprache Amharisch.

"Solange Du Dich erinnerst, warum Du hier bist, kannst Du alles ertragen"

Aber Dolo Ado, das ist nochmal ein andere Kaliber als Addis Abeba, und mit "Ferien" hatte ihr Aufenthalt wirklich nichts gemein: Staub, Sand, Hitze, Erschöpfung, das völlige Fehlen von Privatsphäre und die schwierigen hygienischen Zustände sind nicht leicht über Wochen zu ertragen. Manchmal arbeitete Ament 18 bis 20 Stunden am Tag, schob Nachtschichten und eilte um drei Uhr früh zu werdenden Müttern, die ihre Hilfe brauchten.

Vor allem das tolle Team mit Helfern aus Deutschland, den USA, Kanada, Frankreich, Polen, Dänemark und Finnland und die gute Stimmung unter den Kollegen habe ihr in schwierigen Momenten geholfen. "Und dann sagte mir jemand: "Solange Du Dich daran erinnerst, warum Du hier bist, kannst Du alles ertragen.""

Was Ament mit nach Hause nimmt, sind die vielen Geschichten, die sie erst noch verarbeiten muss. "Es wird schon einige Zeit dauern, bis ich mich davon erhole, aber die Erfahrung war es absolut wert!", sagt sie.

"Ich wollte lächeln, aber mir war nur zum Weinen zumute"

Und dann kommen die Erinnerungen. An die junge Frau, die gleich an Aments erstem Arbeitstag mitten im Sand ihr Kind zur Welt brachte. An den Vater, der ihr dankbar die Hände küsste. "Da wollte ich lächeln, aber mir war nur zum Weinen zumute." An einen Mann, der vor lauter Hunger zu schwach war, seine noch schwächere siebenjährige Tochter zu tragen. An eine Mutter, die einmal elf Kinder hatte, von denen nur drei das schwere Leben in Somalia überlebt haben.

"Sehr intensiv" sei das alles gewesen, sagt Ament. Denn all die Menschen, denen sie in Dolo Ado helfen konnte, sind heute keine Fremden mehr. Sie haben ein Gesicht, das sich in Aments Gedächtnis eingeprägt hat, und einen Namen. "Leute sagen oft, dass sie mich bewundern für das, was ich tue", sagt sie nachdenklich. "Darauf erwidere ich, dass ich doch nur das mache, was ich am meisten liebe."

dpa