Israelfeindlich? Ärger über Artikel im Pfarrerblatt

Israelfeindlich? Ärger über Artikel im Pfarrerblatt
"Wir glauben die bleibende Erwählung des jüdischen Volkes als Gottes Volk und erkennen, daß die Kirche durch Jesus Christus in den Bund Gottes mit seinem Volk hineingenommen ist", damit ist die Haltung der evangelischen Kirche zu Israel bisher recht klar ausgedrückt. Ein Artikel im Deutschen Pfarrerblatt schlägt andere Töne an und hat eine heftige Debatte ausgelöst.
02.09.2011
Von Rainer Clos

"Vom Nationalgott Jahwe zum Herrn der Welt und aller Völker" lautet die sperrige Überschrift über einem Beitrag, der im "Deutschen Pfarrerblatt" in der Augustausgabe erschienen ist. In seinen theologisch bestückten Thesen kommt der pensionierte Pfarrer Jochen Vollmer zu dem Schluss, das religiöse Selbstverständnis des Staates Israel stehe dem Frieden in Nahost im Wege. "Die Landnahme ist das oberste Ziel israelischer Politik."

Auf Distanz geht der Theologe Vollmer auch zu einem Beschluss der rheinischen Synode, der einen Durchbruch für die Neubestimmung des Verhältnisses von Christen und Juden markierte. In der Mehrheit der evangelischen Landeskirchen kam es nach dem Vorbild des Rheinlandes zu ähnlichen Beschlüssen oder Verfassungsänderungen. In der rheinischen Erklärung von 1980, der auch ein intensiver christlich-jüdischer Dialog vorausging, heißt es: "Wir glauben die bleibende Erwählung des jüdischen Volkes als Gottes Volk und erkennen, daß die Kirche durch Jesus Christus in den Bund Gottes mit seinem Volk hineingenommen ist." In diesem Dokument, über das vor drei Jahrzehnten durchaus kontrovers diskutiert wurde, sieht Vollmer den "theologisch fragwürdigen Versuch, Schuld zu kompensieren".

Rüge von den Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit

Wochen nach der Veröffentlichung ruft der Artikel im Pfarrerblatt heftige Reaktionen hervor. Die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit rügten den Beitrag als "juden- und israelfeindlich". Der Aufsatz plädiere mit "vorgeblich christlich-theologischen Argumenten" für eine Absage an die theologisch begründete Solidarität mit Israel. Überdies werde die Rechtmäßigkeit der Gründung Israels bezweifelt sowie der Vorwurf erhoben, vor der Staatsgründung habe Israel palästinensisches Land "geraubt".

Der Dachverband der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, mit je einem evangelischen, katholische und jüdischen Präsidenten an der Spitze, forderte vom Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, eine "klärende Stellungnahme" zu dieser Angelegenheit. Schneider ist in Personalunion auch Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland und soll im nächsten März mit der "Buber-Rosenzweig-Medaille" der christlich-jüdischen Dachorganisation geehrt werden.

Pfarrerverband geht auf Distanz zu Vollmers Beitrag

Statt Schneider hat sich nunmehr der Deutsche Pfarrerverband zu Wort gemeldet. Nach einer Sondersitzung am Donnerstag in Hannover stellte der Vorsitzende Klaus Weber klar, dass sich der Verband die Position von Autor Vollmer nicht zu eigen mache. Der Verband der evangelischen Pfarrer teile die Linie der bisherigen EKD-Studien "Christen und Juden" sowie der landeskirchlichen Synodalerklärungen zur Neubestimmung des Verhältnisses zu Israel und zum Judentum. "Christen unterstützen das Bestreben des jüdischen Volkes nach einer gesicherten Existenz in einem eigenen Staat", zitiert Vorsitzender Weber einen entsprechenden Beschluss bayerischen Landessynode.

Viele evangelische Christen bewege aber auch die Frage, wie Israel zu einem dauerhaften Frieden mit seinen nichtjüdischen Bürgern und mit seinen Nachbarn finde, heißt es ergänzend. Die heftigen Reaktionen auf den Pfarrerblattartikel zeigten, dass viele, die im christlich-jüdischen Dialog und für Verständigung im israelisch-palästinensischen Konflikt engagiert sind, darüber verärgert seien und sich verletzt fühlten, räumte der Verbandvorstand ein. Er kündigte an, dass kontroverse Positionen in dem Verbandsorgan mit 20.000-Auflage veröffentlicht würden.

Der EKD-Ratsvorsitzende hatte vor wenigen Tagen Kontakt mit dem Präsidenten des Zentralrates der Juden. Über dieses Telefonat von Schneider mit Dieter Graumann wurden nichts bekannt. Dass auf der Tagesordnung des Rates der EKD, der am Freitag in Hannover tagte, auch der Punkt Perspektiven für die kirchliche Arbeit in Jerusalem und im Heiligen Land stand, war seit langem geplant. 

epd