Kritik an PID-Regelung: "Ein Gesetz, das nichts entscheidet"

Kritik an PID-Regelung: "Ein Gesetz, das nichts entscheidet"
Als nach mehr als vier Stunden Debatte die Entscheidung gefallen war, gab es Anfang Juli ein Aufatmen im Bundestag: Endlich war eine Regelung der umstrittenen Präimplantationsdiagnostik (PID) gefunden. Die Befürworter einer begrenzten Zulassung von Gentests an Embryonen hatten sich durchgesetzt und begaben sich zufrieden in die Sommerpause. Nur: Ein Gesetz ist zwar beschlossen, aber zentrale Fragen sind weiter offen. Experten halten die Regelungen für viel zu ungenau.
03.08.2011
Von Jutta Wagemann

Nach dem neuen Gesetz ist eine PID zulässig, wenn die Nachkommen eines Paares "eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine schwerwiegende Erbkrankheit" haben oder eine genetische Schädigung bzw. eine Abweichung in den Chromosomen dazu führen würde, dass die Schwangerschaft mit einer Fehl- oder Totgeburt endet.

Am 23. September geht das Präimplantationsgesetz (PräimpG) erst einmal routinemäßig in den Bundesrat. Eine Zustimmung der Länderkammer zum Gesetz ist nicht notwendig, allerdings zur Rechtsverordnung, die gerade im Bundesgesundheitsministerium erarbeitet wird. Darin geht es um die entscheidenden Regelungen für die Praxis. 

Bevor der Gentest am Embryo gemacht werden darf, müssen sich die Frau oder das Paar fachlich beraten lassen. Dann muss eine interdisziplinär zusammengesetzte Ethikkommission an einem zugelassenen Zentrum für PID über den Einzelfall entscheiden, also abwägen, ob es sich um eine schwerwiegende Erbkrankheit handelt. Stimmt die Kommission zu, darf ein qualifizierter Arzt an dem Zentrum die durch künstliche Befruchtung gezeugten Embryos gentechnisch untersuchen. Nur ein gesunder Embryo wird der Frau in die Gebärmutter eingesetzt.

Nicht in jedem Bundesland ein PID-Zentrum

Das Gesundheitsministerium muss in Abstimmung mit den Ländern in der Rechtsverordnung festlegen, wieviele PID-Zentren in Deutschland errichtet werden und wie die Ethikkommissionen besetzt werden. Zudem wird geprüft, inwieweit die Krankenkassen die Kosten für eine PID übernehmen.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, hat dafür plädiert, die Zahl der PID-Zentren begrenzt zu halten. Der Gesetzgeber gehe von wenigen hundert Paaren im Jahr aus, bei denen eine PID in Frage komme. "Dafür muss es nach meiner Auffassung nicht in jedem Bundesland ein eigenes PID-Zentrum geben", sagte er kürzlich der Zeitung "Das Parlament".

Diese Haltung teilt der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn, der für ein vollständiges PID-Verbot eingetreten war. Jedes Zentrum erschaffe sich erfahrungsgemäß seine eigene Nachfrage, sagte Spahn dem epd. Eine schleichende Ausweitung der PID müsse verhindert werden. Spahn fordert daher den Gesetzgeber auf, die Grenzen für die PID klarer zu ziehen. Das neue Gesetz lasse zu viele Fragen offen.

"Der Streit wird in die Ethikkommission verlegt"

Kritisch betrachtet der Medizinrechtler Oliver Tolmein die Einrichtung der Ethikkommissionen. Es sei unklar, wer die Mitglieder berufe. Würden dies die Ärztekammern übernehmen, herrsche oft ein Übergewicht an Medizinern in den Gremien, schreibt Tolmein in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Der Jurist spricht sich dafür aus, dass auch Betroffene, also etwa behinderte Menschen, in die Ethikkommissionen berufen werden.

Der Jurist und Rechtsphilosoph Thomas Gutmann hält das Präimplantationsgesetz verfassungsrechtlich für bedenklich. Der Gesetzgeber habe sich seiner Verantwortung entzogen, indem er auf die Festlegung genauer Kriterien für die Zulässigkeit einer PID verzichtet habe. "Der Streit im Bundestag wird damit in die Ethikkommissionen verlagert", kritisiert Gutmann vom Forschungsverbund "Religion und Politik" an der Universität Münster. Eine letztlich willkürlich zusammengesetzte Ethikkommission habe jedoch keine rechtsstaatliche Legitimation und sei kaum kontrollierbar. "Welchen Rechtsweg soll der Bürger einschlagen, wenn er sich gegen die Entscheidung einer Ethikkommission wehren will?", fragt Gutmann.

Zudem sieht der Jurist die Gefahr der Ungleichbehandlung, wenn eine Ethikkommission etwa in Bayern anders entscheide als eine Ethikkommission in Nordrhein-Westfalen. Gutmann zieht ein vernichtendes Fazit: "Der Bundestag hat ein Gesetz verabschiedet, das nichts wirklich entscheidet."

epd