Loveparade: "Die Trauerfeier ist kein Werbeblock für die Kirche"

Loveparade: "Die Trauerfeier ist kein Werbeblock für die Kirche"
Auf der Trauerfeier zur Loveparade treffen ganz unterschiedliche Menschen aufeinander – viele sind keine Christen. Trotzdem gestaltet die Kirche das Gedenken mit. Wie empfinden die Trauernden in der MSV-Arena in Duisburg das Mitmischen der Kirche? Und warum macht die Kirche überhaupt mit? Welche Chance hat das Wort Gottes bei so einer Massenveranstaltung? Und geht es nicht auch ein Stückchen um Eigenwerbung der Kirche? Eindrücke von der Trauerfeier.
25.07.2011
Von Maike Freund

Sie ist wegen ihrer Tochter zur Trauerfeier gekommen. Vor einem Jahr war Kirstens Tochter auf die Loveparade gegangen. Hatte mit den anderen gefeiert. Ist mit den anderen in Panik geraten, hat mit den anderen versucht, der Menge zu entkommen. Jemand zog sie auf die Treppe. Sie kam körperlich unversehrt davon. Aber sie musste mitansehen, wie andere niedergetrampelt wurden. Seelisch sind Narben geblieben, aber sie lebt – "Gott sei Dank!", sagt Kirsten. Deshalb ist es vor allem Dankbarkeit, die sie empfindet – und deshalb ist sie hier, aus Respekt.

Kirsten hat Tränen in den Augen. Aber sie sagt, dass es eine schöne Trauerfeier ist, hier in der Duisburger MSV-Arena. Ob sie es richtig findet, dass die Kirche einen großen Teil der Feier gestaltet? "Ja, natürlich", sagt sie. "Kirche gehört dazu, im Guten und im Schlechten."

Kirsten hat eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob es die Aufgabe der Kirche ist, eine solche Veranstaltung mit auszurichten. Nicht allen auf der Trauerfeier geht es so. Denn das Publikum ist so gar nicht kirchenaffin. Dass die Evangelische Kirche die Gedenkfeier trotzdem mitgestaltet, sei selbstverständlich, sagt die Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Petra Bosse-Huber. Denn "es ist ihre ureigenste Aufgabe, Not zu lindern." Dazu gehöre auch, sich der eigenen Rolle bewusst zu sein und den Glauben anderer zu respektieren.

"Mit dem Kirchenkram" kann Magda nichts anfangen

Auch Magda ist aus Dankbarkeit in die Arena gekommen. Ihr Neffe feierte auf der Loveparade - und blieb unverletzt. Von der Trauerfeier bekommt sie bisher nicht viel mit. Vielleicht, weil sie aufgeregt ist, vielleicht, weil alles zu viel ist – das kalte Wetter, die laute Musik, so viele Menschen. Und dann sagt sie: "Mit dem ganzen Kirchenkram" könne sie nichts anfangen. Dass sie "zumacht", wenn die Kirche die Finger im Spiel hat. Ob es trotzdem richtig ist, dass die Kirche die Gedenkfeier mit ausrichtet? Was sie sich stattdessen gewünscht hätte? Sie zuckt nur mit den Schultern.

Hans-Hermann Pompe ist Leiter des Zentrums für Mission in der Region der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Zu seinem Job gehört auch, das Image der Kirche zu verbessern und dafür zu sorgen, dass sich wieder mehr Menschen für die Evangelische Kirche interessieren. "Wir wären dumm, wenn wir eine solche Einladung nicht annähmen", sagt er und spielt damit auf die Mitgestaltung der Trauerfeier an. Denn natürlich sei die Gedenkfeier eine niedrigschwellige Werbung für den Glauben. Und ohne ein solches Engagement könne die Kirche auch nicht erwarten, dass die Menschen zu ihr kämen. Trotzdem: "Die Trauerfeier ist kein Werbeblock für die Kirche." Es gehe ums Dienen, nicht um Eigenwerbung. "Außerdem glaube ich, dass Werbung für die Kirche nur dann Erfolg haben kann, wenn man sie nicht beabsichtigt." Vizepräses Bosse-Huber sieht das genauso.

Vizepräses Petra Bosse-Huber auf der Gedenkfeier in Duisburg. Foto: epd-bild / Friedrich Stark

In der MSV-Arena sind nicht überwiegend Loveparadebesucher. Gekommen sind Duisburger Bürger, Rettungskräfte, Angehörige, Familien mit ihren Kindern, Junge, Alte. Auch die Gründe für das Kommen sind so unterschiedlich wie die Menschen. Neugierde, Pflichtbewusstsein, Respekt, Solidarität, Trauer. Und immer wieder Dankbarkeit. Fast allen aber gefällt die Feier, fast alle sprechen vom Kloß im Hals, als die Namen verlesen werden. Fast alle sagen sie, es ist gut, dass die Feier so christlich ist – mit Fürbitten und Segen. Auch wenn sie selbst nicht immer Christen sind.

"Ich würde sagen, sie suchen nach Gott"

Warum gibt es das Bedürfnis der Gesellschaft, in schweren Zeiten auf die Kirche zurückzugreifen? Warum empfinden es selbst Nicht-Christen als gut, dass die Feier so christlich ist? "Offensichtlich hat die Kirche in Krisensituationen einen Kredit bei der Gesellschaft – es wird ihr zugetraut, in solchen Situationen kompetent helfen und reagieren zu können", sagt Pompe vom Zentrum für Mission. Das liege auch daran, dass die Kirche das Unglück in Duisburg nicht verschuldet habe und daran nicht beteiligt gewesen sei, deshalb könne sie als Anwältin und Helferin für die Betroffenen auftreten. Anders zum Beispiel als bei den Missbrauchsfällen. "Jetzt kommt es darauf an, diesen Kredit nicht zu überdehnen", sagt Pompe. Das bedeutet: Keine Instrumentalisierung, sondern selbstlose Hilfe.

Nicht erst seit Duisburg zeigt sich, dass der Kirche besondere Kompetenz in Krisensituationen zugeschrieben wird. Ein weiteres Beispiel: Der Tod von Robert Enke. Für die Besinnung auf die Kirchen in Krisensituationen erklärt Pompe so: "Vielleicht wird vielen bewusster, dass Krisensituationen im Glauben leichter zu bestehen sind als ohne." Auch Vizepräses Petra Bosse-Huber hat eine Antwort: "Sicherlich sind viele Menschen bei der Gedenkfeier, die nicht viel mit der Kirche zu tun haben", sagt sie. "Aber sie suchen trotzdem nach etwas, was sie tröstet. Ich würde sagen, sie suchen nach Gott."

Bleibt die Frage nach der Massenveranstaltung: Hat Gottes Trost in einem Stadion mit tausenden von Menschen überhaupt eine Chance, wahrgenommen zu werden? Bosse-Huber sagt: "Trost ist nicht verfügbar, nichts, was wir in den Taschen bei uns tragen. Es ist etwas, um das wir bitten können, was wir herbeisehnen. Als Christin sage ich: Nur Gott kann diesen Trost spenden – ob in der Kirche oder im Station. Und ich hoffe, er tut's."

"Vielleicht war das Gott, der anwesend war"

Tom hat nicht genau gewusst, was ihn hier erwartet. Er ist Raver, Gedenkfeiern sind nicht so sein Ding, Gottesdienste erst recht nicht. Wann er zuletzt in einer Kirche war, daran kann er sich nicht mehr erinnern. Aber jetzt ist seine Kehle wie zugeschnürt. Und als das ganze Stadion geschwiegen hat, um an die Opfer zu denken, und sich der Regen über das Stadion legte, leise, wie ein Schleier, da, sagt er, hat er sich furchtbar traurig gefühlt, traurig, aber irgendwie nicht allein. "Vielleicht war das Gott, der anwesend war", sagt er. "Vielleicht auch nur das Gefühl, zusammenzugehören", schiebt er hinterher. Auf jeden Fall fühlt er sich ein wenig besser.


Maike Freund ist Redakteurin bei evangelisch.de.