"Bei Loveparade schiebt jeder die Verantwortung weg"

"Bei Loveparade schiebt jeder die Verantwortung weg"
Der Frontmann der Band "Unheilig" will den Angehörigen der Loveparade-Opfer bei der Gedenkfeier zum Jahrestag der Katastrophe Trost spenden. Im Vorfeld zeigte er Verständnis für den Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU), sagte aber zugleich, dass er sich mehr Anteilnahme nach dem Unglück gewünscht hätte. Bernd Graf, genannt "Der Graf", tritt bei der Trauerfeier an diesem Sonntag im Duisburger Stadion auf Wunsch der Angehörigen auf. Bei dem Unglück am 24. Juli 2010 waren 21 Menschen getötet worden.
19.07.2011
Die Fragen stellte Michael Kieffer

Ihr Song "Geboren um zu leben" wurde nach der Loveparade-Katastrophe zu einer Art Trauerhymne. Eine Ehre, die Ihnen lieber erspart geblieben wäre?

Graf: Davon habe ich erst erfahren, als die Anfrage für die Trauerfeier kam. Ich war etwas verwundert. Ich habe gehört, dass sich die Angehörigen das Lied gewünscht haben, weil es eine Art Trost für sie war. Ich fühle mich dadurch schon geehrt. Es ist natürlich schön, wenn man merkt, dass die Musik, die man macht, den Menschen in einer gewissen Situation Trost spendet. Man kann einem Künstler, der in den Liedern vom Leben selbst erzählt, eigentlich kein größeres Kompliment machen.

Reißt man mit dem Lied nicht auch alte Wunden auf? Denn darin heißt es zum Beispiel: "Wir war'n geboren um zu leben, (...) weil jeder von uns spürte, wie wertvoll Leben ist."

Graf: Ich habe das Lied damals geschrieben in Hommage an einen verstorbenen Freund. Für mich war das Lied ein Nach-vorne-Schauen gerade nach einer schweren Zeit. Wenn man das Lied hört, kommen wahrscheinlich bestimmte Emotionen, Bilder und Gedanken hoch. Aber man kann ja auch Trost spenden, wenn man sich mit diesem ganzen Unglück überhaupt mal erst auseinandersetzt. Das ist ganz wichtig für eine Trauerverarbeitung.

Dann ist es auch Ihr Wunsch für Ihren Auftritt im Duisburger Stadion, diese Trauerarbeit zu leisten?

Graf: Es ist wichtig, sich mit Trauer auseinanderzusetzen und nicht davor wegzulaufen - sich dem zu stellen und auch gemeinsam zu trauern. Daher halte ich auch die Gedenkfeier für die Angehörigen für total wichtig. Es ist immer noch eine gewisse Ungewissheit da, weil nicht aufgeklärt ist, was genau und wieso es passiert ist.

Wo stehen wir denn Ihrer Meinung nach bei der Aufklärung?

Graf: Jeder versucht natürlich, seine Verantwortung ein bisschen wegzuschieben. Das ist nicht gerade aufbauend. Bei einem Unglücksfall ist es für die Angehörigen wichtig, alles zu wissen. Ich glaube, dass man da noch nicht richtig weit vorangekommen ist. Und wenn es auch nur eine Entschuldigung gewesen wäre, wenn irgendjemand in Verantwortung tritt und sagt: "Wir haben da einen Fehler gemacht." Dann wäre es einfacher, mit der ganzen Geschichte umzugehen. Fehler machen wir alle, aber Fehler kann man eher verzeihen als Ungewissheit.

Der Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland hat kürzlich öffentlich um Verzeihung gebeten. Glauben Sie, dass auch er erst eine Art Trauerarbeit durchlaufen musste, um sich ein Jahr nach der Katastrophe zu diesem Schritt durchzuringen?

Graf: Ja natürlich. Man kann von niemandem erwarten, dass er - nur weil er in einer solchen Position und das Gesicht der Sache ist - sagt: "Ich bin schuld." Man muss das ja erst mal aufarbeiten und sich genau erkundigen, was da passiert ist. Trotzdem: Es geht gar nicht darum, herauszufinden, wer schuld war. Es geht einfach darum, eine Art Mitgefühl schnell auszudrücken. Selbst wenn man nur zusammen weint: Es ist wichtig, dem anderen zu zeigen, man ist nicht alleine.

Und diese Art von Anteilnahme vermissen Sie?

Graf: Gerade in den Anfängen war niemand da - glaube ich nach allem, was ich mitbekommen habe. Da stand mehr dieses ganze Chaos im Vordergrund.

Mit welchem Gefühl treten Sie vor die Angehörigen bei der Trauerfeier?

Graf: Bei dieser Trauerfeier geht es einzig und alleine um das Andenken der Verstorbenen und das Mitgefühl für die Angehörigen. Es ist für mich das allererste Mal, in einer solchen Situation aufzutreten. Ich denke, ich werde sehr aufgeregt sein.

dpa