Freudiger Jubel in harten Zeiten: Japan gewinnt WM

Freudiger Jubel in harten Zeiten: Japan gewinnt WM
Für Japan ging in dieser Nacht auch im übertragenen Sinne die Sonne auf. Der Gewinn der Frauen-Fußball-Weltmeisterschaft löste am frühen Morgen (Ortszeit) im ganzen Land Jubel aus.
18.07.2011
Von Lars Nicolaysen

"Ich freue mich aus tiefstem Herzen, gerade jetzt, da Japan so harte Zeiten durchmacht. Danke", lautet eine von vielen begeisterten Reaktionen im japanischen Twitter-Dienst. Der Sieg der Frauen bei der Fußball-WM im fernen Deutschland hilft Japan zumindest für einen Moment, die vergangenen Monate seit dem verheerenden Erdbeben und Tsunami in der nordöstlichen Region Tohoku zu vergessen. "Danke, dass Ihr an die Gefühle der Menschen in Tohoku gedacht habt. Danke, dass Ihr Japan Hoffnung gegeben habt", twittert ein begeisterter Fan.

"Historische Leistung"

Auch japanische Fernsehsender überschlugen sich am frühen Morgen vor Freude über den Sieg. Immer wieder strahlten sie die schönsten Spielszenen und den in den Himmel über Deutschland gestreckten Siegerpokal in die Wohnzimmer der Nation. Kameras in den Heimatorten der Spielerinnen zeigten das Wechselbad der Gefühle der daheimgebliebenen Angehörigen und Fans in blauen Trikots, als sie vor dem Fernseher das Final-Drama verfolgten. Sie jubeln, schreien und weinen. "Historische Leistung" stand auf einem Plakat im Studio eines japanischen Privatsenders. "Sie haben uns gezeigt, wie es wichtig ist, nicht aufzugeben", kommentierte ein Sprecher des Senders NHK.

Alte und junge Menschen fielen sich in die Arme. "Ich habe das Gefühl, Japan ist eins geworden", twittert jemand begeistert seine Freude hinaus. Noch nie genossen Japans Fußball-Frauen so viel Aufmerksamkeit. Schon in den Tagen vor dem Finale war die Erwartung in der Heimat gestiegen. Nach dem Sieg gegen Schweden organisierten Reisebüros plötzlich schnell noch Gruppenreisen zum Endspiel - mit Erfolg, wie es heißt. Trikots mit den Namen der Spielerinnen und andere Fan-Artikel waren überall ausverkauft. Auch der unter Rücktrittsdruck stehende Regierungschef Naoto Kan soll sich laut Medienberichten kurz überlegt haben, ob er nicht auch nach Deutschland fliegen und das Endspiel anschauen soll, verzichtete am Ende aber darauf, wie die Tageszeitung "Yomiuri Shimbun" berichtete.

"Wir haben Selbstvertrauen und ich glaube, es ist langsam Zeit, dass der Fußballgott uns einen Sieg gönnt", wurde Nationaltrainer Norio Sasaki kurz vor dem Endspiel zitiert. Ein Fischhändler auf dem weltberühmten Tokioter Fischmarkt Tsukiji nannte einen seiner Kraken - nach deutschem Beispiel - "Paul der Dritte" und ließ ihn orakeln, wer das Endspiel gewinnen werde. In einem Aquarium legte der Fischer zwei Töpfe aus, dahinter die Fahnen der USA und Japans. Prompt kroch der Krake in den Topf für Japan. "Klasse! Wenn es den Menschen in den Katastrophengebieten wenigstens etwas Mut und Hoffnung verleiht, freue ich mich. Danke!", bringt es ein Twitterer auf den Punkt.

Finalkrimi gegen USA Weltmeister

Die japanischen Fußballerinnen tanzten ausgelassen über den Rasen, die US-Girls starrten fassungslos ins Leere: Japan hat am Sonntag nach einem mitreißenden WM-Finale erstmals den Frauenfußball-Thron erklommen. Ich möchte jetzt ein Glas gutes deutsches Bier trinken. Am liebsten würde ich die ganze Nacht feiern, aber wir müssen morgen Mittag schon zurück ins unsere Heimat", sagte Trainer Norio Sasaki nach dem überraschenden 3:1 im Elfmeterkrimi gegen den zweimaligen Weltmeister USA.

Nach 120 Minuten hatte es vor 48.817 begeisterten Zuschauern in der Frankfurter WM-Arena 2:2 gestanden. Die eingewechselte Alex Morgan (69. Minute) und US-Star Abby Wambach (104.) brachten die über weite Strecken dominierenden Amerikanerinnen zweimal in Führung, Aya Miyama (81.) und Homare Sawa (117.) konnten in der dramatischen Partie jeweils ausgleichen. In der 120. Minute sah Azusa Iwashimizu wegen einer Notbremse die Rote Karte von der souverän leitenden Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus.

Im Elfmeterschießen versagten gleich drei US-Girls die Nerven und die japanische Torfrau Ayumi Kaihori wurde zur Heldin. Sie parierte die Strafstöße von Shannon Boxx und Tobin Heath, zudem verschoss Carli Lloyd. "Im Elfmeterschießen entscheiden Kleinigkeiten. Mal gewinnst du, mal verliert du", sagte die schwedische US-Trainerin Pia Sundhage, deren Team zahlreiche gute Chancen ausließ. "Natürlich sind jetzt alle enttäuscht, aber in ein paar Tagen können wir uns über die Silbermedaille freuen. Es war dennoch ein phänomenales Turnier."

Während den USA auch die Unterstützung des daheim mitfiebernden Präsidenten Barack Obama am Ende nichts nutzte, und sie ihren dritten Titel nach 1991 und 1999 verpassten, gewann Japan als erste asiatischen Mannschaft den WM-Pokal. Im Viertelfinale hatte das Team um die als beste Spielerin des Turniers und beste Torschützin (fünf Tore) ausgezeichnete Sawa die deutsche Elf ausgeschaltet. "Wir haben bis zuletzt an uns geglaubt und sind total glücklich. Jetzt sind wir die Nummer 1 in der Welt", sagte die 32-Jährige. Ihr Trainer dachte nach dem Triumph gleich an die Landsleute in der Heimat. "Sie haben uns Kraft und Mut gegeben mit ihrer Unterstützung. Es war eine tolle WM, die wir in Deutschland erleben durften."

Um 23.40 Uhr überreichte WM-OK-Chefin Steffi Jones dem siegreichen Team die WM-Trophäe. Zuvor hatte Angela Merkel, die am Sonntag ihren 57. Geburtstag feierte, auf der Tribüne mitgefiebert. Bei der Siegerehrung klatschte die Bundeskanzlerin begeistert Beifall, während die deutschen Spielerinnen dem ausgelassenen Treiben im goldenen Konfettiregen eher wehmütig zuschauten.

dpa