Alles, bloß nicht evangelisch: Das multireligiöse Schulprojekt

Alles, bloß nicht evangelisch: Das multireligiöse Schulprojekt
Eigentlich eine bestechende Idee: eine Schule, die sich ausdrücklich als "multireligiös" versteht und Religionsunterricht für Christen, Juden und Muslime anbietet. Was wie ein längst überfälliges Konzept wirkt, wird nun in Osnabrück Wirklichkeit – auf Initiative des katholischen Bistums, aber ohne Beteiligung des evangelischen Kirchenkreises. Wurde da eine Chance vertan?
06.07.2011
Von Thomas Östreicher

Wenn Winfried Verburg von seinem ambitionierten Projekt spricht, leuchten seine Augen. Was wenig überrascht, denn der 53-jährige Leiter der Schulabteilung des Bistums Osnabrück schickt sich an, Geschichte zu schreiben – mit einer privaten Drei-Religionen-Schule, wie sie in anderen Ländern schon lange kein Aufsehen mehr erregt.

"Juden, Christen und Muslime machen gemeinsam Schule", ist die Informationsbroschüre zum Projekt überschrieben, und genau darum geht es: die jüdische Gemeinde, der islamische Landesverband Schura Niedersachsen e.V., die DiTiB - Türkisch Islamische Gemeinde zu Osnabrück e.V. und die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen unter dem Dach der katholischen Schulstiftung des Bistums Osnabrück am Ort der bisherigen katholischen Bekenntnisschule.

Die Johannisschule – benannt nach dem jüdischen Propheten Jochanan, Johannes dem Täufer, Yahya – nimmt im Sommer kommenden Jahres ihre Arbeit auf und versteht sich laut Ankündigung als "interreligiöser Lernort der drei großen Weltreligionen, die sich als Nachkommen von Abraham und Sara bzw. Hagar verstehen, an dem sich Menschen dieser drei Religionen als Schulgemeinschaft ihrer gemeinsamen Grundlagen tiefer bewusst werden und respektvoll Menschen anderer religiöser Überzeugungen begegnen und mit ihnen gemeinsam leben und lernen". Religion soll nicht nur im Religionsunterricht vorkommen, beispielsweise durch religiöse Symbole; umgekehrt sind auch Eltern anderer oder keiner religiösen Überzeugung mit ihren Kindern willkommen.

Katholische Vorgängereinrichtung mit Nachwuchssorgen

Der idealistisch anmutende Ansatz ist freilich nicht der einzige Hintergrund für das Vorhaben. Da die katholischen "Bekenntnisgrundschulen" in Niedersachsen aufgrund staatlicher Vorgaben maximal 20 bis 25 Prozent nicht-katholischer Kinder aufnehmen dürfen, zeichnete sich für die Johannisschule im Zentrum Osnabrücks ein Problem ab: Die Veränderungen in der Bevölkerung ringsum stellten die Tradition in Frage, die Schule als zweizügige Grundschule, also mit zwei Klassen zu Schuljahresbeginn weiterzuführen.

Der große muslimische Bevölkerungsanteil führte 2009 zur Initialzündung, das Projekt einer multireligiösen Schule anzugehen - basierend auf positiven Kooperationserfahrungen mit islamischem Religionsunterricht an der katholischen Haupt- und Realschule in Papenburg. Die positive Entscheidung des Stadtrats in geheimer Abstimmung erfolgte mit knapper Mehrheit. CDU und FDP hatten sich zuvor für das Projekt ausgesprochen, die SPD dagegen, die Grünen waren uneinheitlicher Meinung.

Die jüdische Gemeinde, mit mehr als 1.000 Mitgliedern größer denn je, wurde schnell für die Idee gewonnen, und auch die sechs muslimischen Moscheegemeinden zeigten sich kooperationsbereit - nicht aber der evangelische Kirchenkreis.

"Keine partnerschaftliche Zusammenarbeit"

"Mit Kooperation auf Augenhöhe hat die multireligiöse Schule nichts zu tun", kommentierte "die tageszeitung" im März bissig und bilanzierte, die Katholiken seien "noch nicht reif" für solch ein Projekt. Sie übernahm damit die Position des evangelischen Superintendenten Friedemann Pannen, der kurz vor der geplanten Unterzeichnung der Vereinbarung erklärt hatte, wichtige Aspekte im Einigungsvertrag entsprächen nicht einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit.

Bei konfessionellen Festen, der Aufnahme bekenntnisloser Schüler, dem Leitbild und der Geschäftsführung mache die katholische Kirche Vorgaben, welche die evangelische Seite nicht akzeptieren könne. Zentraler Punkt: Bei religiösen Feiern könnten Kinder der anderen Religionen ausgeschlossen werden. Auf Nachfrage mochte sich Pannen zum Schulprojekt jetzt nicht mehr äußern.

Evangelischer Platz im Beirat

Eine Drei-Religionen-Schule ohne Beteiligung der evangelischen Kirche - "das ist etwas, das uns schmerzt", beteuert Winfried Verburg. Für ihn gehören die Protestanten "selbstverständlich dazu". Immerhin: Im etwa 15-köpfigen Beirat ist ein Platz für einen protestantischen Vertreter reserviert. Evangelische Kinder dürfen die Schule ebenfalls besuchen und sollen auch evangelischen Religionsunterricht erhalten.

Auch Michael Grünberg, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Osnabrück, kann gegenüber evangelisch.de die Kritik von protestantischer Seite "nicht sehr gut nachvollziehen". Ihm tut das Ausscheren des Kirchenkreises "sehr leid", und er hätte sich über evangelische Beteiligung gefreut, denn das Ziel ist ihm wichtig: "Es geht darum, dass die Kinder spielerisch lernen, mit den anderen Religionen umzugehen und dass das Normalität wird", sagt Grünberg. Aktuell umfasst die Jüdische Gemeinde zwar nur zwei Kinder im Schulanfänger-Alter - doch beide sind bereits für die Johannisschule vorgesehen.

Wie prägend ist das katholische Leitbild?

Eine mögliche katholische Dominanz schreckte Juden und Muslime also offenbar nicht ab, zumal "in gleichem Umfang jüdische, christliche und muslimische Kinder aufgenommen werden" sollen, sofern genügend Anmeldungen vorliegen. Der aktuelle Stand für den ersten Jahrgang 2012: 20 Anmeldungen, davon zwölf katholische, vier muslimische und zwei jüdische Kinder sowie je ein evangelisches und ein Kind der orthodoxen Glaubensrichtung.

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Weitere Punkte der fünfseitigen Vereinbarung: "Religiös begründete Kleidung wird gegenseitig respektiert", auch das Kopftuch ist Lehrerinnen wie Schülerinnen erlaubt, nicht allerdings die Burka. Auf Feiertage, Fastengebote und andere Riten und Gebräuche wird Rücksicht genommen. (Getrennter) Religionsunterricht ist für alle Schüler obligatorisch, ein neutrales Fach à la "Werte und Normen" gibt es nicht.

Ob Kinder anderer Konfessionen an religiösen Feiern in der Schule teilnehmen dürfen, entscheiden die jeweiligen örtlichen Vorsteher - auch das ist im Alltag nichts Ungewöhnliches. "Ein Imam und ein Rabbi werden nicht gemeinsam beten", ergänzt Verburg. Man müsse ihnen auch die Möglichkeit geben, sich punktuell abzugrenzen.

"Offene Türen " für eine evangelische Beteiligung

Unterm Strich bleibt der Eindruck einer verpassten Chance, und dass ausgerechnet bei einem Projekt zur Förderung der Toleranz die Ökumene schwieriger umzusetzen ist als christlich-jüdische und christlich-muslimische Zusammenarbeit. Kritik am übermächtigen katholischen Leitbild? Verburg relativiert: Das Leitbild seiner Schulstiftung sei "nicht das Leitbild unserer Schule". Das gelte es nämlich erst noch zu erarbeiten - gemeinsam mit den noch anzustellenden Lehrern und insbesondere unter Beteiligung der Eltern.

Der Oberschulrat lässt im Gespräch erkennen, dass manches, was seine protestantischen Kollegen bislang so stört, die Bewährung in der Praxis erst noch bestehen muss und auch der Einigungswortlaut noch überarbeitet werden könnte: "Da ist auch eine Such- und Tastbewegung unsererseits." Teetrinker Verburg setzt auf den Faktor Zeit und hofft weiter auf eine "abrahamische Ökumene" einschließlich der evangelischen Kirche.

"Die Türen sind offen", bestätigt auch Michael Grünberg von der Jüdischen Gemeinde. Als Kooperationspartner seien die Protestanten nach wie vor "herzlich willkommen".


Thomas Östreicher ist freier Mitarbeiter bei evangelisch.de.