Polizei: "Wenn man sich kennt, vertraut man sich auch"

Polizei: "Wenn man sich kennt, vertraut man sich auch"
Innenminister Friedrich will gegen die Radikalisierung junger Muslime in Deutschland vorgehen. Er schlägt "Sicherheitspartnerschaften" zwischen islamischen Gemeinden und staatlichen Behörden vor. In Hagen (NRW) gibt es seit drei Jahren das "Integrative Sicherheitsprojekt Hagener Muslime und ihre Polizei". Seitens der Polizei wird es geleitet von Kriminalhauptkommissar Uwe Böhm, er ist Kontaktbeamter für muslimische Institutionen.
04.07.2011
Die Fragen stellte Anne Kampf

Herr Böhm, das Projekt begann mit einem Vorfall, der viele Muslime in Hagen schockiert hat. Können Sie kurz beschreiben, was im Februar 2008 passiert ist?

Uwe Böhm: Im Februar 2008 hat ein türkischer Mitbürger nachts die Polizei zur Hilfe gerufen, weil er sich verfolgt fühlte. Er kam den Kollegen mit bloßem Oberkörper entgegen und bat um Hilfe. Die Kollegen haben diese Bedrohungslage sehr ernst genommen, haben das Gebäude durchsucht und festgestellt, dass die "Bedrohungslage" sich offensichtlich in seinem Kopf abspielte. Er ist dann auf seine Bitte hin mit zur Wache genommen worden, weil er Angst hatte. Unterwegs haben die Kollegen gemerkt: Da stimmt irgendwas nicht und haben darum gebeten, dass er auf der Wache ärztlicher Versorgung zugeführt wird. Auf der Wache ist er dann tatsächlich außer Rand und Band geraten und hat randaliert, die Kollegen konnten ihn nur mit Mühe bändigen und auf einer Trage fixieren.

Zwischenzeitlich waren die Rettungssanitäter eingetroffen, eine Notärztin kam auch, und die musste dann leider feststellen, dass bei ihm keine Lebenszeichen mehr festgestellt werden konnten. Er ist dann ins Krankenhaus gebracht worden, und dort hat man festgestellt, dass er hirntot war. Später stellte sich heraus, dass er wegen übermäßigen Kokainkonsums ein Gehirnödem hatte, das zum Tod führte.

Für die Familie stellte sich das so dar: Er hat die Polizei um Hilfe gerufen. Stunden später erscheinen Polizeibeamte und sagen: "Ihr Sohn ist tot." Die Eltern sind dann ins Krankenhaus gefahren, haben Verletzungen an ihm festgestellt, die natürlich durch die Randale und die Abwehrmaßnahmen zustande gekommen waren, und sind dann zu dem Schluss gekommen: "Der ist von der Polizei zusammengeschlagen worden." Damit sind sie an die Presse gegangen.

Das führte dazu, dass in Hagen ein Aufstand stattfand - mit Drohungen im Internet, dass man Polizeibeamte in eine Falle locken und sich rächen würde, dass man auf die Straße gehen würde. Das ganze lief mehr in türkischen Medien ab. Aber man hat uns von Seiten der muslimischen Gemeinde darauf hingewiesen: "Hier brodelt sich was zusammen, das kriegen wir nicht in den Griff, hier radikalisieren sich Leute gegen die Polizei." Die muslimischen Gemeinden wurden zusammengerufen, und ich bin als Kontaktbeamter hineingegangen, um zu erklären, was wirklich passiert ist. Das hat Tage gedauert, um da eine Vertrauensbasis aufzubauen. Aus dieser Zeit resultiert unser Projekt.

Was hat die Polizei unternommen, um das Vertrauen der muslimischen Bevölkerung wieder zu gewinnen?

Auf verschiedene Weise stellte sich die Hagener Polizei den muslimischen Bürgern vor (Foto: Polizeipräsidium Hagen)

Böhm: Wir sind in die Moscheen hineingegangen, haben dort die Situation erklärt, haben denen letztendlich "Polizei" erklärt: Was ist Polizei überhaupt in Deutschland? Denn sie hatten ein Polizeibild, das mehr von der Türkei geprägt war: "Die können das sowieso, die dürfen Leute mitnehmen und die verprügeln, da macht ja sowieso keiner was gegen." Ein Rechtsstaatlichkeitsgefühl, das wir als Polizei für uns beanspruchen, das haben sie uns überhaupt nicht zugebilligt. Also haben wir ihnen durch verschiedenste Veranstaltungen "Polizei" gezeigt, so dass "Polizei" für sie ein Gesicht bekam, und wir auch ein Gesicht von der anderen Seite bekamen. Denn wenn man sich gegenseitig kennt, vertraut man sich auch.

Würden Sie sagen, dass heute ein gutes vertrauensvolles Verhältnis besteht?

Böhm: Auf jeden Fall. Das bestätigen Ihnen auch die muslimischen Verbände.

Woran zeigt sich das?

Böhm: Zum Beispiel gerade eben: Hier in Hagen muss gerade ein Mensch durch die Straßen gelaufen sein, der rassistische Plakate vor der Brust hielt. "Türken raus", "Türken haben in Deutschland nichts zu suchen, sind nur Schmarotzer" und so ein Kram. Dieser Mann ist geistig verwirrt, das wissen wir als Polizei. Er hat aber zu großem Aufruhr geführt. Sofort klingelte das Telefon, es war einer meiner muslimischen Ansprechpartner: "Unsere Jugendlichen sind ganz aufgeregt, was sollen wir tun, wie können wir verhindern dass die jetzt aufgebracht ins Einkaufszentrum laufen?" Dann habe ich vorgeschlagen, dass ich erstmal der Wache Bescheid sage, und dass er bitte hingehen und auf die Jugendlichen einwirken soll.

Was haben Sie bisher im Verlauf des Projektes über Muslime in Hagen gelernt?

Böhm: Über Muslime habe ich gelernt, dass es genauso Menschen sind wir alle anderen auch, dass sie gerne integriert sein wollen, natürlich dass man ihre Religion respektiert, aber diese Religion nicht als Fremdkörper sieht. Sie wollen ihren Glauben leben, aber wollen auch genauso sein wie alle anderen Hagener Bürger auch. Mit ihren Eigenarten, die man aber anderen Religionen ja auch zubilligt. Sie wollen eigentlich Hagener sein.

Es könnte ja vorkommen, dass es in Hagen junge Muslime gibt, die sich radikalisieren. Führt die Partnerschaft dazu, dass diese Radikalisierungstendenzen schneller erkannt werden?

Böhm: Ja. Wenn auch nicht direkt von der Polizei. Denn einen Zugriff auf das Verhalten innerhalb der Moscheen werden wir nicht finden. Wir haben ja keine Spitzel in den Moscheen. Die Moscheevorstände würden am ehesten merken: Hier läuft einer aus dem Ruder.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Böhm: Wir hatten zum Beispiel den Fall, dass eine Deutsche auf einmal in einer Burka auftauchte und in einer Religion, die eigentlich nicht ihre war, auffiel. Das wurde an uns herangetragen: "Hier ist irgendwas komisch". So werden wir darauf aufmerksam gemacht. Man hat uns auch versichert, wenn eine Radikalisierung in den Bereich Terrorismus geht, dann sagt man es uns auch. Wenn wir so etwas erleben würden (was wir jetzt in Hagen noch nicht hatten), dann sagen die Muslime: "Wir sind genauso geschädigt, wir leiden darunter, dass man uns unter Generalverdacht stellt, wir sind Opfer des Anschlags vom 11. September 2001, wir sind genauso gegen solche Anschläge."

Wie geht die Polizei in solchen Fällen vor?

Böhm: In dem Fall der neuen Muslima haben wir das den Moscheevorständen überlassen, weil es noch nicht diesen radikalen Extrembereich erreicht hatte. Wir sind ja keine Gesinnungspolizei. Falls eine solche Radikalisierung oder ein Verdacht von Straftaten vorläge, dann würde ich es als Kontaktbeamter im Einvernehmen mit den muslimischen Stellen an den Staatsschutz geben. Die würden den Fall kriminalpolizeilich aufarbeiten.

Was würden Sie Innenminister Friedrich nach seinem Präventionsgipfel sagen, wenn er Sie jetzt in Hagen besuchen käme?

Böhm: Ich kenne nur die Pressemitteilungen und entnehme ihnen, dass er sehr stark fokussiert ist auf Prävention in der Form, dass die Muslime eine bestimmte Verpflichtung haben, Leute, die extrem eingestellt sind, an die Polizei zu melden. Das muss meiner Meinung nach breiter aufgestellt werden. Polizei kann nicht in die Richtung gehen nach dem Motto: "Sagt uns bitte mal alle, bei denen ihr meint, dass das extreme Terroristen sind". Das empfinden sie als Denunziantentum. Sie fühlen sich unter Generalverdacht gestellt.

Polizei muss als Gesamtheit an die Muslime herantreten, sie muss Prävention als Gesamtheit begreifen, und dann wird dieser Aspekt mitgetragen von Seiten der Muslime. Sie sehen sich ja in der Masse als Opfer des 11. September 2001 und wollen nicht, dass solche Anschläge passieren. Also: Polizei muss sich breiter aufstellen, es müssen Präventionen in allen Richtungen laufen, und einer der Teilaspekte geht in Richtung "islamistischer Terrorismus".


Kriminalhauptkommissar Uwe Böhm ist der Kontaktbeamte für muslimische Institutionen beim Polizeipräsidium Hagen.