Filmpredigten: Kino im Kopf und in der Kirche

Filmpredigten: Kino im Kopf und in der Kirche
Leinwand ausgerollt, Beamer an, Licht aus, Film ab! Sonntag in der Andreasgemeinde in Frankfurt-Niederhöchstadt: Während der hessischen Sommerferien gibt es hier jeden Sonntag Film-Predigten. Gepredigt wird über "Die Truman Show", James Bond, "Slumdog Millionaire", "Chocolat", "Cast Away", "Cat-Woman" und "Ungeküsst".
24.06.2011
Von Anne Kampf

Die Idee hatte Pfarrer Karsten Böhm, ein großer Kinofan. Er sagt: "Eine gute Predigt muss
Kino im Kopf sein." Wie die Prediger der Gemeinde (darunter Pastoren, Vikare, Theologen und Theologiestudenten) ihren Film jeweils mit Bibelversen verbinden, bleibt ihnen selbst überlassen. Karsten Böhm meint, es müsse gar nicht unbedingt ein Bibeltext dazu genommen werden. Schließlich hätten Filme häufig eine weltanschauliche Aussage und seien fast so etwas wie narrative Predigten. "Jesus hat ja auch in Gleichnissen gesprochen", erinnert Böhm.

Erster Prediger der Reihe ist an diesem Sonntag der Theologe Patrick Sperber aus Frankfurt. Er möchte in seiner Predigt etwas über "Selbstwert" aussagen, hatte Erschreckendes gelesen über eine Suizidwelle unter Jugendlichen in den USA. Bewusst suchte Sperber einen oberflächlich wirkenden Film, um auszusagen: Man muss unter die Oberfläche schauen! Er fand "Ungeküsst" (USA 1999) mit Drew Barrymore in der Hauptrolle und als Produzentin.

"Was einzigartig macht, macht wirklich schön"

In dem Film gelingt es einer unscheinbaren Zeitungsreporterin nicht, während einer Recherche in die angesagten Kreise ihrer ehemaligen High-Scool hineinzukommen. Sie fühlt sich bei den Strebern wohl und findet ihr Glück schließlich beim Literaturlehrer. Die Aussage des Films verbindet Patrick Sperber mit Psalm 139, Vers 14, "Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin." Dem Prediger kommt es darauf an, zu zeigen: "Jeder ist von Gott geschaffen, genau in der Besonderheit, die man in sich trägt. Das, was einzigartig macht, macht wirklich schön."

Sperber wird einen Trailer zeigen, damit die Bilder des Films vor den Augen der Gottesdienstbesucher lebendig werden. Leider kann die Andreasgemeinde nicht jeden Film am Vorabend des jeweiligen Gottesdienstes zeigen. Es fanden sich nicht genügend Mitarbeiter, um die Abende vorzubereiten und die Technik zu bedienen. Doch Ausschnitte oder Trailer lassen sich während der Predigt an die Leinwand werfen. Zumindest müssen Filmszenen so anschaulich und lebendig wie möglich erzählt werden, damit das Konzept der Filmpredigt funktioniert.

Unübertroffen: Charlie Chaplin und die Rose

"Jeder Film will Präsenz, Bilder, die den Zuschauer berühren, ihm etwas zu sehen, zu hören, zu fühlen geben", schreibt der Marburger Praktische Theologe Thomas Erne zum Thema "Filmpredigt" in seinem Aufsatz "Die Spürbarkeit der Zeichen". Lebendige Szenen, Bilder, Geschichten sind leichter zu verstehen als abstrakte theologische Reflexionen. Ein Film sei "Platzhalter für die äußere Wirklichkeit und die Spürbarkeit der Dinge in der religiösen Kommunikation", so Erne.

Sein Beispiel: Die Anfangs- und Schlussszene in dem Film "City Lights", einem Stummfilm von Charlie Chaplin aus dem Jahr 1931. Eine blinde Blumenverkäuferin ertastet das Knopfloch an Chaplins Revers und steckt eine Rose hinein. Am Ende ist es genau dieselbe Berührung, an der sich die beiden wiedererkennen. "Chaplin erklärt nichts, er zeigt nur. Aber er zeigt so, dass die Zeichen spürbar werden", schreibt Erne. Der Theologe zieht eine Parallele zum 20. Kapitel des Johannesevangeliums: Der "ungläubige Thomas" erkennt den Auferstandenen im Moment der Berührung.

"Das ganze Leben hat Raum vor Gott"

Über das Verhältnis von Film und Predigttext schreiben Inge Kirsner und Hans-Ulrich Gehring in ihrem Buch "Filmgottesdienste", der Film diene nicht als Illustration zum Predigttext, sondern stehe sozusagen daneben. Filme seien "verdichteter Ausdruck menschlicher Lebenswirklichkeiten, und das ganze Leben hat Raum vor Gott", schreiben Kirsner und Gehring. Die Zuhörer finden ihre Lebenserfahrung in den Bildern des Films wieder und haben so einen leichteren Zugang zur Aussage des Predigttextes. Überdies bleiben Bilder und Geschichten auch besser im Gedächtnis hängen als theoretische Erkenntnisse.

Pfarrer Karsten Böhm wird während der Predigtreihe in seiner Gemeinde über "Slumdog Millionaire" (USA 2008) predigen, "den finde ich wahnsinnig gut", schwärmt er. Der Straßenjunge Jamal gewinnt in dem Film die höchstmögliche Summe in der indische Version von "Wer wird Millionär?". Ihm geht es allerdings nicht um Geld, sondern darum, durch den Fernsehauftritt seine Liebe Latika wiederzufinden. Die Predigtaussage stand Karsten Böhm nicht direkt vor Augen, er musste ein wenig nachdenken. Das Ergebnis: "Gott hält dich - egal wie es läuft. Egal ob Zufall oder Schicksal dein Leben bestimmen." Und - bezogen auf Jamals Suche nach Latika: "Was willst du im Leben finden? Was ist dein großes Ziel?"

Nicht ohne christliche Theologie

Böhm stellt keinen Bibeltext neben seinen Film. Dennoch darf seiner Ansicht nach bei einer Filmpredigt keine völlig beliebige Aussage am Ende stehen: "Sie muss mit der christlichen Theologie verbunden sein." Bei "Cast Away" (Tom Hanks landet nach einem Flugzeugabsturz auf einer einsamen Insel) könnte es zum Beispiel um Alltagsunterbrechungen und das Sonntagsgebot gehen (Predigt: Ingo Schütz), bei "Chocolat" (Juliette Binoche verwirrt die Bewohner einer Kleinstadt während der Fastenzeit mit der Neueröffnung einer Chocolaterie) darum, das Gute im Leben zu sehen und zu genießen (Predigt: Alrun Kopelke).

Die Filmpredigtreihe in der Andreasgemeinde Niederhöchstadt beginnt am 26. Juni und endet am 7. August 2011. In der Regel wird dieselbe Predigt in je zwei Gottesdiensten sonntags um 10 Uhr und um 18 Uhr gehalten.


Anne Kampf ist Redakteurin bei evangelisch.de.