Nach Krisentreffen: Alle Kassen nehmen City-BKK-Kunden auf

Nach Krisentreffen: Alle Kassen nehmen City-BKK-Kunden auf
Die Drohungen von Gesundheitsminister Bahr zeigen Wirkung: Die Krankenkassen wollen schneller Kunden der City BKK aufnehmen. SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach hat derweil schlechte Nachrichten für die Versicherten.
20.05.2011
Von Basil Wegener

Am Tag der Amtsübergabe an Daniel Bahr geht der neue Gesundheitsminister im lichtdurchfluteten Atrium seines Hauses gleich in die Vollen. Noch diese Woche hätten die Krankenkassen Zeit - endlich müssten sie die rechtswidrige Abwimmelei von Versicherten der bankrotten City BKK beenden. Sonst drohten Konsequenzen. Zu dem Zeitpunkt war schon klar: Eineinhalb Stunden später würden die Kassen Lösungen präsentieren. Die gebeutelten City-BKK-Patienten dürften nun tatsächlich besser eine neue Kasse finden - doch die Probleme der Versicherungen insgesamt bleiben.

Durch Patientenselektion Zusatzbeiträge vermeiden

Für Bahr ist die Sache klar. Das Desaster um die City BKK ist für den neuen FDP-Gesundheitsminister ein Einzelfall. Jetzt sollten die Kassen den rund 170.000 Versicherten endlich den Weg zur Kasse nach Wahl freimachen. Stundenlang berieten Kassenvertreter in Berlin.

Denn die Kassen stehen allesamt unter mehr oder weniger großem Finanzdruck. Sie wollen Zusatzbeiträge vermeiden - aber viele ältere City-BKK-Versicherten in kostenträchtigen Städten sind auch Kostenfaktoren. "In dieser Situation haben viele Kassenmitarbeiter Angst", sagt der Chef der Securvita Krankenkassen, Ellis Huber. In manchen Häusern, so heißt es, sind die Berater angehalten, möglichst gesunde Gutverdiener an Land zu ziehen. Da passt die ältere Klientel der Pleite-BKK mit vielen ehemaligen Landesmitarbeitern der Städte Hamburg und Berlin nicht ins Konzept.

Rösler: Kasseninsolvenzen seien gewollt

Auf ihrem Krisentreffen schwören sich 30 Vertreter aus 18 Kassen darauf ein, die Leute jetzt trotzdem ohne Probleme aufzunehmen. Statt geschlossener Service-Center soll es jetzt mehr Beratung geben. Und notfalls wollen die Beteiligten sich untereinander per Rundmail über jeden einzelnen Problemfall informieren - Huber hofft auf einen disziplinierenden Effekt der quasi öffentlichen Problembeschreibung.

Bahr-Vorgänger Phillip Rösler räumt bei der Amtsübergabe freimütig ein, dass die Möglichkeit zu Kasseninsolvenzen ordnungspolitisch "selbstverständlich" gewollt gewesen sei. Tatsächlich hielt schon seine Vorgängerin Ulla Schmidt von der SPD mehr als 50 Kassen aus Wettbewerbsgründen prinzipiell für unnötig.

Im kommenden Jahr fehlen wieder Milliarden

Doch jetzt geht es erstmals um die gravierenden Folgewirkungen auf dem angespannten Kassenmarkt - selbst wenn die Schlangen vor den Kundencentern verschwunden und alle City-BKK-Versicherten in einigen Wochen in einer neuen Kasse sind, droht neues Ungemach.

So sagen Gesundheitsökonomen und Kassenvertreter voraus, dass den Versicherungen ab kommendem Jahr wieder Milliarden fehlen werden. Fünf Milliarden pro Jahr, wie der SPD-Fachmann Karl Lauterbach präzisiert. "Das ist sehr konservativ gerechnet, damit Herr Bahr mir nicht Panikmache vorwerfen kann."

Versicherten drohen Zusatzbeiträge bis zu 30 Euro

Tatsächlich verhandeln Arzneihersteller und Kassen noch nicht nach zu Jahresbeginn gestarteten Regeln über Nachlässe bei teuren neuen Mitteln - sondern noch über zentrale Verhandlungsgrundsätze. Tatsächlich ächzen die mehr als 2.000 Kliniken unter Tarifsteigerungen. Tatsächlich will die Koalition mit dem Versorgungsgesetz Ärzten in Mangelregionen Zuschläge ermöglichen - schon nächste Woche sind abschließende Beratungen geplant.

Lauterbach sagt Zusatzbeiträge zwischen 0 und 30 Euro voraus. Huber kritisiert: "Wir haben ein teuflisches System - die Zusatzbeiträge funktionieren wie Brandbeschleuniger." Kunden wandern ab - Probleme der Kasse wachsen. Über die Schuld daran sagt Lauterbach ein übles Schwarzer-Peter-Spiel voraus. Viele Finger dürften auch auf die SPD zeigen - führte doch Ulla Schmidt den Gesundheitsfonds mit der Möglichkeit der Zusatzbeiträge erst ein.

Regierung könnte zu Gunsten der Kassen entscheiden

Schalthebel zugunsten der Kassen hätte die Regierung: Sie könnte den Finanzausgleich zwischen ihnen erweitern und so klamme Kassen besser schützen. Doch gerade den Ordnungspolitikern ist so ein Schritt ein Graus nach dem Motto: Je mehr Ausgleich - desto weniger Wettbewerb. Sie könnte weitere Steuermilliarden zu den Kassen pumpen - doch wozu dann die erst eingeführten komplizierten Regeln zu unbegrenzten Zusatzbeiträgen mit einem Sozialausgleich für Ärmere?

Dass für Bahr die Karrieresprünge zuletzt ziemlich schnell kamen, ist dem 34-Jährigen bewusst. "Ich sag' meiner Frau immer: Zwick mich mal", sagt er am Rande der Amtsübergabe. Er hat wohlweislich einkalkuliert, dass nicht nur Kassen leicht Imageprobleme kriegen können - sondern auch der zuständige Minister. "Wenn man beliebt werden wollte, wäre man nicht in die Politik gegangen."

dpa