Der Mann, der ins KZ einbrach: Umstrittene Erinnerungen

Der Mann, der ins KZ einbrach: Umstrittene Erinnerungen
In England sorgte sein Buch bereits für Furore. Es ist die abenteuerliche Geschichte eines britischen Kriegsgefangenen, der für kurze Zeit mit einem KZ-Häftling die Seite tauschte. Demütigungen, Grausamkeiten, Erschießungen - alles erlebte Denis Avey in Auschwitz aus erster Hand. Inzwischen werden bei Historikern Zweifel laut. Hat Avey einfach nur eine blühende Fantasie?
18.05.2011
Von Sibylle Peine

Die Geschichte erscheint fast unglaublich. Als junger britischer Kriegsgefangener schleicht sich Denis Avey ins KZ von Auschwitz ein und wird dort Zeuge ungeheuerlicher Verbrechen. Sechzig Jahre schweigt er über seine traumatischen Erlebnisse. Erst als alter Mann wird Avey eher zufällig von einem BBC-Reporter während einer Recherche über Kriegsrentner entdeckt. Rob Broomby ist fasziniert von der einzigartigen Geschichte. Er dreht einen Film über Avey und macht ihn berühmt. Als "Hero of the Holocaust" wird der Kriegsveteran sogar vom britischen Premierminister geehrt.

Die Erinnerungen des 92-Jährigen werden zum Bestseller. Jetzt liegen sie unter dem Titel "Der Mann, der ins KZ einbrach" auch auf Deutsch vor. Doch nicht alle glauben diese Heldengeschichte. In seinem Buch schildert Avey zunächst seine Zeit als britischer Soldat. Er kämpft in Nordafrika, wird verwundet und von den Deutschen gefangen genommen. Über Umwege gerät er schließlich in das Kriegsgefangenenlager E715. Es liegt direkt neben dem Konzentrationslager Auschwitz III (Monowitz).

Heimlich im Auschwitz

Es handelt sich um ein jüdisches Arbeitslager, in dem sich die ausgemergelten Gefangenen unter dem Kommando brutaler SS-Männer zu Tode schuften. Obwohl auch die Kriegsgefangenen zu schwerer Arbeit herangezogen werden, geht es ihnen doch unvergleichlich besser. Sie haben wärmere Kleidung, gehaltvollere Nahrung. Eines Tages sieht Avey die "Gestreiften": "Sie erinnerten an sich bewegende Schatten, gestaltlos und verschwommen, als könnten sie jeden Augenblick ins Nichts verblassen (.).Den bemitleidenswerten Gestalten war fast alles genommen worden, was das Menschsein ausmacht, das sah ich sofort."

Er erfährt, dass alle Juden, die zum Arbeiten zu schwach waren "durch den Schornstein" gehen. "Dass ich nichts dagegen tun konnte, besudelte mich und mein Leben. Ich konnte nicht zulassen, dass es so weiterging."

So entsteht in ihm die riskante Idee, seinen relativ privilegierten Platz eines britischen Kriegsgefangenen mit dem jüdischen KZ-Insassen Hans zu tauschen. Er trifft detaillierte Vorkehrungen. Und tatsächlich wechseln er und Hans für kurze Zeit die Seite, beim dritten Mal geht es fast schief. Für einen anderen KZ-Insassen namens Ernst kann Avey die Verbindung zu seiner Schwester in England herstellen.

Er schmuggelt für ihn Zigaretten ins KZ, die dort so wertvoll wie Geld sind. Jahrzehnte später erfährt Avey, dass Ernst überlebt hat. Von Hans dagegen hört er nie wieder etwas. Nach dem Krieg will keiner Aveys Geschichte über das Innenleben in Auschwitz hören. Nur Heldenstorys sind gefragt. Er selbst ist traumatisiert und schweigt.

Zündstoff für Holocaust-Gegner

Sein langes Schweigen erscheint vielen heute jedoch verdächtig. In den letzten Wochen sind immer mehr skeptische Stimmen laut geworden, die Aveys Geschichte anzweifeln. Dazu gehören sowohl ehemalige Kriegsgefangene, die sich im selben Lager wie Avey aufhielten, als auch jüdische Organisationen und Historiker. Die ehemaligen Kriegsgefangenen bestreiten, dass es möglich gewesen sei, unbemerkt den Platz einfach so mit einem jüdischen KZ-Insassen zu tauschen. Die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem hat bisher niemanden finden können, der Aveys Erzählung bestätigen könnte.

Piotr Setkiewicz, Chef-Historiker in Auschwitz, hält das Ganze nicht nur für unglaubwürdig, sondern sogar für gefährlich. Solche unplausiblen Geschichten lieferten nur den Holocaust-Leugnern Zündstoff, zitiert ihn die Daily Mail. Der World Jewish Congress hat inzwischen Aveys Verlag aufgefordert, die Geschichte des Autoren zu überprüfen. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein.

dpa