Medien in der Türkei: Wieviel Religion darf sein?

Medien in der Türkei: Wieviel Religion darf sein?
Die Türkei ist ein laizistischer Staat. Doch unter der AKP-Regierung spielt die Religionsausübung in der Öffentlichkeit eine immer größere Rolle. Das hat Auswirkungen auf die Medien in der Türkei: Ein syrisch-orthodoxer Pater träumt von christlichem Rundfunk, die Redakteurin einer sozialistischen Tageszeitung klagt über den wachsenden Einfluss der Religion, und die Wochenzeitung der christlich-armenischen Minderheit ist vor allem politisch ausgerichtet.
16.05.2011
Von Thomas Klatt

Die Armenier hätten immer schon im osmanischen Reich ihre eigenen Zeitungen gehabt, gibt sich der Journalist Patros Estukyan selbstbewusst. Also sei es nur konsequent, dass es auch in der türkischen Republik weiterhin eine eigenständige Zeitung der christlich-armenischen Minderheit gebe. Estukyan ist Redakteur der armenischen Wochenzeitung AGOS, die Furche. Sie wurde 1996 gegründet. AGOS erlangte traurige Berühmtheit, als deren Gründer, Herausgeber und erster Chefredakteur Hrant Dink am 19. Januar 2007 vor dem Gebäude seiner Istanbuler Redaktion erschossen wurde.

Dink setzte sich trotz einer massiven nationalistischen Hetzkampagne gegen ihn immer wieder für die öffentliche Debatte und die Aufklärung des Armeniervölkermordes von 1915 ein. Dafür wurde er mit zahlreichen internationalen Preisen geehrt, in der Türkei aber angefeindet. Nach seiner Ermordung demonstrierten Hunderttausende in Istanbul für Meinungs- und Pressefreiheit. Viele Türken erklärten solidarisch, auch "Armenier" zu sein. Seit dem Mord an Hrant Dink ist die Redaktion videoüberwacht und steht unter Polizeischutz. Sein Büro ist seit vier Jahren fast unverändert, so, als würde Dink jederzeit wieder seinen Platz einnehmen können.

Junge Armenier fühlen sich eher als Türken

AGOS versteht sich aber nicht als eine christliche, sondern viel mehr als eine politisch-laizistische Zeitung. Religiöse Bildung gehört nicht zu ihren Zielen. "Die armenischen Gemeinden haben eigene Bulletins, die in den Gottesdiensten verteilt werden. Hinzu kommen zweisprachige Informationen über die gemeindeeigenen Webseiten. Aber eine eigene Kirchenpresse wie etwa in Deutschland gibt es in der Türkei nicht", sagt Redakteur Estukyan (Foto links: Thomas Klatt). Auch stehe AGOS durchaus kritisch zu den christlichen Minderheitenkirchen. "Antisemitismus findet sich wie in der ganzen Türkei auch unter den Armeniern. Auch hier finden sich Stereotype, als seien die Juden an allem Schlechten schuld", beklagt Estukyan, und das wolle man als unabhängige Zeitung auch weiterhin anprangern.

Andererseits will AGOS zum Erhalt der armenischen Sprache beitragen. Von den 24 Seiten der Wochenzeitung erscheinen 20 auf türkisch und 4 auf armenisch. Die Auflage liegt derzeit bei 5000 bis 6000 Exemplaren. Heute leben noch rund 60.000 Armenier in der Türkei. Aber, so beklagt Estukyan, würden sich viele armenische Jugendliche immer weniger für die armenische Sprache und Kultur interessieren. Vielmehr wollten sie heute Englisch, Deutsch oder andere international relevantere Sprachen erlernen.

Auch die früheren ethnischen Gegensätze würden sich zunehmend nivellieren. Armenisch-türkische Mischehen seien noch vor gut 20 Jahren undenkbar gewesen, heute erhalten sie sogar den Segen der armenischen Kirche. Vor allem die jüngeren Armenier fühlten sich heute als Türken, die höchstens einmal als Urlauber nach Armenien reisen wollten. Die Bindung zur Religion werde immer schwächer. Patros Estukyan selbst bezeichnet sich als ungläubig. Zwar ständen Osterkuchen oder Ostereier als folkloristisches Element immer noch bei vielen Familien hoch im Kurs, aber der christliche Glaube werde in immer weniger Familien aktiv gelebt.

Keine Pressekonferenz mehr am Freitag

Redakteurin Miyase Ilknur (Foto links: Thomas Klatt) von der sozialistisch orientierten Tageszeitung Cumhuriyet in Istanbul beklagt dagegen die wachsende Bedeutung der Religion in der türkischen Öffentlichkeit. Seitdem die islamistische AKP-Regierung vor gut neun Jahren an die Macht kam, sei die Zurschaustellung des persönlichen Glaubens Mode geworden. Nicht nur, dass in dem sich bisher als streng laizistisch definierenden Staat das Kopftuch immer häufiger im Straßenbild auftauche. "Vor zehn Jahren war es undenkbar, dass wir Rücksicht auf den Ramadan genommen hätten. Auch das Freitagsgebet war nie ein Thema. Heute wagt es keine Partei oder Organisation mit Rücksicht auf die Muslime, am Freitag eine Pressekonferenz einzuberufen", klagt die leitende Redakteurin.

Am 12. Juni wird in der Türkei gewählt und die AKP steht mangels einer funktionierenden Opposition schon jetzt praktisch als erneuter Wahlsieger fest. Redakteurin Ilknur sieht wie die meisten ihrer Kollegen nicht, dass es die islamistische Regierung trotz ankündigter Reformen schafft, die Pressefreiheit in der Türkei auf westeuropäischen Standard zu bringen. Derzeit sitzen rund 70 Journalisten in türkischen Gefängnissen, tausende stehen unter Anklage, die meisten wegen "Beleidigung der Türkei" auf Grund des berüchtigten Paragrafen 301 des Strafgesetzbuches oder vermeintlicher Vergehen gegen die Anti-Terrorgesetze. Wer in der Türkei einen kritischen und investigativen Journalismus betreibt, der steht praktisch immer schon mit einem Bein im Gefängnis.

Warum nicht aramäisch-syrisches Radio?

In Mardin rund tausend Kilometer weiter östlich sieht das der syrisch-orthodoxe Pater Gabriel Akyüz (Foto links: Thomas Klatt) nicht so düster. Er glaubt an die Demokratie und daran, dass sich auch die islamistische AKP nach ihrem erneuten Wahlsieg an die türkisch-demokatischen Rechtsnormen hält. Vor hundert Jahren waren im Tur Abdin nahe zur syrischen Grenze noch 70 Prozent der Bevölkerung christlich. Heute umfasst seine Gemeinde gerade einmal 80 Familien mit rund 400 Gemeindemitgliedern.

Doch Akyüz sieht die Zukunft positiv. Unter der islamistischen AKP-Regierung habe es auch für die Christen Verbesserungen gegeben. Das Stiftungsrecht sei reformiert worden, so dass seine Kirche seit zwei Jahren endlich auch eigene Häuser, ja Kirchen erwerben oder neu bauen könne. Pater Gabriel beflügeln die neuen Freiheiten. "Wenn es nun einen eigenen kurdischen Fernsehsender in der Türkei geben darf, wieso soll nicht bald auch ein eigener aramäisch-syrischer Radio- oder TV-Kanal auf Sendung gehen?" Solange es nur um Religion gehe und nicht um Politik, sei dies in der türkischen Demokratie durchaus möglich.