"Sweet Mickey": Schlagersänger wird Haitis Präsident

"Sweet Mickey": Schlagersänger wird Haitis Präsident
Als "Sweet Mickey" wurde der zukünftige Präsident Haitis populär. Seine Bekanntheit als Sänger verhalf Michel Martelly ins Amt, aber ihm fehlt die poltitische Erfahrung. Doch nicht nur deshalb warten die internationalen Geldgeber mit den Mitteln für den Wiederaufbau ab, auch an der demokratischen Gesinnung Martellys gibt es Zweifel.
05.04.2011
Von Matthias Knecht

Seine Anhänger nennen ihn in der haitianischen Landessprache Kreol liebevoll "Tet Kale" - Kahlschädel. Der zukünftige Präsident Haitis, Michel Martelly, gewann die Stichwahl vom März haushoch, wie Haitis Wahlbehörde am Montag (Ortszeit) bekanntgab. 68 Prozent stimmten laut vorläufigem Ergebnis für den 50-Jährigen. Seine 71-jährige Gegenkandidatin, die in der ersten Wahlrunde im November noch erstplatzierte Universitätsprofessorin Mirlande Manigat, kam lediglich auf knapp 32 Prozent.

Als "Sweet Micky" wurde er populär

Martelly hat keinerlei politische Erfahrung. Sein Ingenieurstudium in den USA brach er ab, um sich ganz seiner Sängerkarriere zu widmen. Als "Sweet Micky" wurde er denn auch in Haiti landesweit populär. Genau das verschaffte ihm Sympathien bei den knapp 4,7 Millionen Wahlberechtigten, die über den schleppenden Aufbau Haitis nach dem verheerenden Erdbeben vom Januar 2010 enttäuscht sind.

Zwar tauschte Martelly seine provokanten Bühnenkostüme inzwischen gegen Anzug und Krawatte aus. Dennoch pries er sich als unverbrauchten Neuling. "Ich habe saubere Hände. Ich war nie in der Politik", betonte der Sänger im Wahlkampf. Daneben profitierte er von der Unterstützung des haitianischen Rappers Wyclef Jean. Der wollte ursprünglich selbst kandidieren, wurde aber nicht zugelassen, weil er nicht in Haiti lebt.


Martelly verspricht staatliche Bildung für alle

Martelly verspricht staatliche Bildung für alle. Bisher sind 90 Prozent der haitianischen Kinder und Jugendlichen auf private Schulen angewiesen. Zudem will er die Wirtschaft mit Investitionen in den Tourismus ankurbeln. Wie er das anstellen will, weiß niemand. Von einem wirtschaftlichen Aufschwung ist Haiti weit entfernt. 80 Prozent der 9,6 Millionen Einwohner leben unterhalb der Armutsgrenze.

Dringlichste Aufgabe für den neuen Präsidenten ist eine Lösung für die 680.000 Obdachlosen, die nach dem Erdbeben nach wie vor in Zelten und Notunterkünften leben. Viele von ihnen sind von der Vertreibung bedroht, hält ein am Montag publizierter Bericht der Internationalen Organisation für Migration (IOM) fest. Denn die meisten Obdachlosenlager entstanden nach der Katastrophe spontan auf privaten Grundstücken. Das größte darunter ist ein Lager mit rund 40.000 Menschen auf dem Golfplatz des Hauptstadt-Vorortes Petionville.

Die Geldgeber für den Wiederaufbau zögern

Die neue Regierung wird künftig die internationalen Hilfsgelder alleine verwalten und damit die bisherige von Regierung und Geldgebern gemeinsam geführte Organisation ablösen. Das sieht der Fahrplan vor, der vor einem Jahr auf einer New Yorker Hilfskonferenz beschlossen wurde. Ob die damals zugesagten elf Milliarden US-Dollar für den Wiederaufbau tatsächlich fließen, hängt aber vom Vertrauen der Geldgeber in die Regierung Martelly ab.

Denn bereits während des Wahlkampfs kamen Zweifel an der demokratischen Gesinnung Martellys auf. Unangenehme Fragen nach seinen Schulden in den USA beantwortete er mit Drohungen gegenüber der Presse. "Wir sehen uns später auf der Straße", antwortete Martelly einem angesehenen haitianischen Journalisten.

Martellys Einschüchterungsversuche erinnern an frühere Diktatoren

Solche Einschüchterungsversuche erinnern fatal an die Praktiken früherer haitianischer Herrscher, allen voran Diktator Jean-Claude Duvalier, der 1986 ins Exil floh. Autoritär regierte zuletzt auch der einstige Armenpriester Jean-Bertrand Aristide, der 2004 nach Tumulten ins Exil floh. Beide kehrten in den vergangenen Wochen überraschend nach Haiti zurück. Und beiden bot Martelly noch im Wahlkampf die Zusammenarbeit an.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon forderte von der zukünftigen Regierung mehr Rechtsstaatlichkeit. Zugleich wies er auf mögliche Konfrontationen mit dem Parlament hin, das ebenfalls größtenteils neu gewählt wurde. Nach vorläufigen Wahlergebnissen wird in beiden Kammern die bisherige Regierungspartei dominieren. Martellys eigene Partei kommt gerade einmal auf 3 der mehr als 130 Sitze in Abgeordnetenhaus und Senat - eine Herausforderung selbst für gestandene Politiker.

epd