Ins Minus gerutscht: Monica Lierhaus und die Öffentlichkeit

Ins Minus gerutscht: Monica Lierhaus und die Öffentlichkeit
Als "Sportschau"-Moderatorin wurde Monica Lierhaus einem Millionenpublikum bekannt. Vor zwei Jahren fiel sie nach einer Gehirnoperation ins Koma, verschwand vom Bildschirm und aus der Öffentlichkeit. Die Rückkehr vor einigen Wochen bei der "Goldenen Kamera" geriet spektakulär, löste Bewunderung und Kritik aus. Nun gaben die künftige Werbebotschafterin der ARD-Fernsehlotterie sowie ihr baldiger Ehemann der Wochenzeitung "Die Zeit" ein ausführliches Interview.
31.03.2011
Von Ursula Ott

Die Tränen flossen reichlich. Als Monica Lierhaus im Februar 2011 ihrem Lebensgefährten und Manager Rolf Hellgardt vor laufender Kamera einen Heiratsantrag machte, war kein Halten mehr im Saal, es wurde geschneuzt und geschluchzt. Bis heute haben über 800.000 User das youtube-Video "Heiratsantrag Lierhaus" geklickt, und auch die Internetgemeinde ist gerührt. "Krass, dieser Antrag", schreibt ein youtube-User. "Total emotional."

Heute erklärt das Paar in der "Zeit" dem Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, wie es dazu kam, zu diesem Antrag. Wieder wird viel geweint, und die Leserin ist gerührt. Einerseits. Aber auch angewidert. Andererseits. Besonders von dieser einen Passage, in der Hellgardt spekuliert, warum Lierhaus ihm wohl diesem Antrag gemacht habe. "Natürlich ist Monica in den letzten zwei Jahren tief ins Minus gerutscht, weil sie nicht viel tun kann, nicht das geben kann, was sie auf vielen Ebenen gerne tun würde", rechnet der Fernsehproduzent aus, "Ich empfinde es so, dass es für Monica ein Riesenschritt war, mit Gewalt wieder in Richtung Plus zu kommen, indem sie mir das Maximale, was sie mir in diesem Augenblick geben konnte, auf dieser Bühne gegeben hat."

Sie muss immer weinen beim Interview

Brrr, es schüttelt mich. Erstens: Angeblich wusste er ja nichts von dem Antrag, es war ihre Idee. Warum erklärt sie dann nicht dem "Zeit"-Chefredakteur, was die Aktion bedeutet? Weil sie immer weinen muss während des Interviews und keine langen Sätze machen kann? Man muss ja auch keine Interviews geben, wenn sie zu viel Kraft kosten. Es wäre mir jedenfalls ein Horror, ich würde meinem Liebsten einen Heiratsantrag machen, und der würde anschließend die Exegese übernehmen. In aller Öffentlichkeit. Wer so große Gesten tut, soll sie lieber selber dechiffrieren. Aber er ist ja ihr großer Erklärer. So rutscht er übrigens – im Hellgardt-Jargon – immer noch weiter ins Plus. Jetzt erklärt er sogar ihre Liebeserklärung.

Zweitens: Ein noch viel größerer Horror wäre mir die Vorstellung, ich könnte durch eine Krankheit so tief ins "Minus" rutschen, dass dies nur durch eine einzige Geste wieder zu kompensieren wäre. Ich übergebe meine ganze Person – ähnlich wie Brautväter dies früher am Altar getan haben – ich verschenke mich, weil ich sonst nichts zu "bieten" habe? Ins Minus gerutscht bin? Da schüttelt es mich gleich noch mal. Und dann noch "mit Gewalt"?

Dabei geht es nicht nur um Stilfragen. Die Szene berührt eine Angst, die jeder und jede Liebende kennt. Wird der andere bei mir bleiben, wenn ich im Koma liege? Im Rollstuhl sitze? Schwer dement bin? Wenn ich mich nicht "revanchieren" kann für den Pflegeeinsatz? Darauf gibt es keine endgültige Antwort und keine Sicherheit. Viele Paare halten das aus, bewundernswert. Selten reden sie darüber öffentlich, sie machen es einfach. Andere zerbrechen daran.

Die Währung, in der die Liebe getauscht wird

Es berührt das Innerste einer Beziehung, in welcher Währung die Liebe getauscht wird. Ich verdiene das Geld, du erziehst die Kinder. Ich lasse dich teilhaben an meinem Wissen, du mich an deiner Musikalität. Oder in diesem Fall: Ich organisiere für dich die teuerste Rehaklinik und mache einen Vertrag mit der ARD-Fernsehlotterie. Und du?

Doch, da wird schon etwas sein auf der "Haben"-Seite von Monica Lierhaus, um im Ökonomiejargon ihres Mannes zu bleiben. Sie wird ein wertvoller Mensch gewesen sein, auch während ihrer Krankheit. Hätte er ihr das zeigen wollen – ich liebe dich, auch wenn du nur noch schleppend sprechen kannst - hätte im übrigen ja er ihr einen Heiratsantrag machen können. Am besten ohne Fernsehkamera.


Ursula Ott, 45, ist stellvertretende Chefredakteurin von chrismon und Chefredakteurin von evangelisch.de.