Die Halle auf dem Gelände der Major-Karl-Plagge-Kaserne im hessischen Pfungstadt ist unauffällig. Ab und zu hält ein Lastwagen davor, Uniformierte gehen rein und raus. An der Tür hängen Schilder mit Postzeichen und Bundesadlern. Doch diese rund 450 Quadratmeter große Halle ist eine besondere: Sie hat eine eigene Postleitzahl, "64298 Darmstadt". Eine kleine Enklave auf der Gemarkung Pfungstadt. Hier landen alle Pakete, Päckchen und Briefe an die Soldaten der Bundeswehr im Ausland.
Ulrich Seidler sortiert nach ISAF, KFOR und EUFOR anstatt nach Orten: ISAF bedeutet Afghanistan und Usbekistan, KFOR steht für Kosovo, und EUFOR bezeichnet die Truppen in Bosnien-Herzegowina. Die Welt ist groß geworden für den Mann in Uniform: Ulrich Seidler ist normalerweise als Briefzusteller zu Fuß in Koblenz unterwegs. Für einige Monate hat er die Leitung der Feldpostleitstelle in Pfungstadt übernommen und dirigiert jetzt riesige Kisten per LKW und Flugzeug durch die Welt.
Feldjäger schauen hinter die Pappe
Seidler ist freiwillig in dieser Halle, als Reservist, wie alle 12 Post-Mitarbeiter hier. Sie übernehmen diesen Dienst für ein paar Wochen oder Monate im Rahmen einer "Wehrübung", hängen die Uniform danach wieder an den Nagel und gehen zurück an ihre Postschalter oder in ihre Zustellbezirke.
Der Job in der Halle in Pfungstadt macht dem Koblenzer Briefträger Freude - weil er weiß, dass Feldpost den Soldaten Freude macht: Er kennt das von seinen eigenen Aufenthalten in Afghanistan: Zuletzt war er im Sommer 2010 dort - ebenfalls als Postbeamter - "nur mit Waffe". Seine 23-jährigen Zwillinge schickten Briefe ins Lager, und seine Lebensgefährtin verwöhnte ihn mit Wurst aus der Heimat. "Das macht einfach Spaß!", sagt Ulrich Seidler.
Was die Briefe, Pakete und Päckchen enthalten, geht hier in der Feldpostleitstelle eigentlich niemanden etwas an. Briefgeheimnis. Trotzdem müssen die Postbeamten in Uniform hinter die Pappe schauen: Jeden Tag kommen speziell ausgebildete Feldjäger aus Mainz nach Pfungstadt, um die Pakete und Päckchen mit einem großen Röntgengerät zu durchleuchten - wie am Flughafen. Aus Sicherheitsgründen schauen sie nach Sprengstoff, Elektrobauteilen und verdächtigen Flüssigkeiten. Doch solche gefährlichen Dinge finden sie praktisch nie.
Was sie stattdessen auf dem Bildschirm zu erkennen glauben (so viel darf vielleicht verraten werden): Lebensmittel sind oft dabei - Süßigkeiten, Flaschen. Manchmal auch praktische Dinge für die Freizeit im Lager: Ein Rucksack, ein Radio, auch Schuhe mit hohen Absätzen waren schon mal zu sehen.
Jemand zu Hause denkt an sie
Auch wenn das alles nur Kleinigkeiten sind: "Sie sollten mal sehen, welchen Glanz die Soldaten in den Augen haben, wenn sie Post von zuhause bekommen", erzählt Ulrich Seidler. Jemand zu Hause denkt an sie - das ist wichtig. Briefe, gemalte Bilder und Fotos von den Kindern und Partnern - die kann man im Gegensatz zu einem Telefonat oder einer E-Mail festhalten, in die Tasche stecken, aufbewahren, immer wieder anschauen.
Bevor ein Soldat ins Ausland fliegt, bekommt die Verwandtschaft in der Heimat von der Bundeswehr ein kleines laminiertes Merkblatt mit Anweisungen, wie die Feldpost funktioniert: Zugelassen sind Briefe bis 1000 Gramm und Pakete bis 20 Kilogramm. Das Format darf 120 mal 60 mal 60 Zentimeter nicht überschreiten. Alles, was schwerer oder größer ist, geht zurück zum Absender - leider.
Bei der Adressierung der Briefe und Päckchen müssen die Ehefrauen, Freunde, Mütter und Kinder sich sehr konzentrieren: Dienstgrad, Name, Vorname, dann die recht komplizierte Abkürzung für den Truppenteil, die Einheit und den Einsatzraum, "über Feldpost", 64298 Darmstadt. Das Porto: immer nach Inlandstarif. Auf keinen Fall darf das Einsatzland in der Adresse stehen, dann käme laut Merkblatt ein großes Chaos zustande.
Durchleuchten, nummerieren, verladen
Die Abläufe sind ganz genau festgelegt - so, wie man es von Postbeamten erwartet: Jeden Morgen werden Pakete und Päckchen angeliefert, dazu ein Scanner aus dem Briefzentrum Darmstadt - und dann geht die tägliche Routine los: 2000 Briefe in allen Formaten werden nach ISAF, KFOR und EUFOR sortiert und in gelben Postkisten verstaut, 800 bis 900 Päckchen und Pakete durchleuchtet, nummeriert und verladen.
Alle zwei Tage kommen zusätzlich Spürhunde und schnüffeln die Kisten danach ab, ob sie nicht doch ein Körnchen Sprengstoff finden - allerdings mehr als Übung für die Hunde als zur Sicherheit. Die Pakete und Päckchen werden in große Holzkisten gestapelt, die in der Mitte der Halle aufgereiht stehen und von den Post-Reservisten "Nefabs" genannt werden - nach dem schwedischen Hersteller der Boxen. Jede Nefab wird gewogen, mit Stahlband umwickelt und verplombt.
Eine Spedition bringt die Kisten nach Trollenhagen in Neubrandenburg zum Bundeswehrflugplatz, von dort aus fliegen sie nach Afghanistan - nach Masar-i-Sharif, von dort aus werden sie in die anderen Lager verteilt, so genannte "Postempfangsbeauftragte" nehmen die Nefabs entgegen, gleichen die Listen ab, und packen aus. Vom Absender zum Empfänger dauert der Weg der Feldpost normalerweise sieben Tage - bei Schnee länger. Die Feldpost nach Bosnien-Herzegowina und in den Kosovo wird auf dem Landweg transportiert - in komplett verplombten Lastwagen.
Zur Weihnachtszeit zusätzliche Reservisten
Schwerpunkt der Feldpost ist allerdings momentan Afghanistan: Hier sind zurzeit gut 5000 Bundeswehrsoldaten stationiert. Mit ihrer Anzahl hat auch die Arbeit der Pfungtstädter Feldpostleitstelle zugenommen: Im Jahr 2009 wurden hier rund 270.000 Pakete und Päckchen abgefertigt, dazu rund eine Million Briefe - 2010 waren es insgesamt knapp 30 Prozent mehr Sendungen. Zur Weihnachtszeit mussten im vergangenen Jahr zusätzliche Reservisten angefordert werden, weil die Zahl der Pakete und Päckchen auf täglich rund 2700 anwuchs.
Die Feldpost funktioniert übrigens auch umgekehrt: Das deutsche Feldpostamt im Obergeschoss der Pfungstädter Halle versorgt die Feldpost im Ausland mit Verpackungsmaterial und Briefmarken. Die Soldaten wenden sich vor Ort an die "Postämter" im Lager - hier können sie Briefe und Päckchen nach Hause aufgeben. Sie nehmen denselben Weg zurück, mit denselben "Nefab"-Kisten per Flieger über Trollenhagen und Pfungstadt. Die Pakete und Päckchen machen noch einen Umweg über den Zoll in Speyer, bei den Briefen reicht eine "Sichtkontrolle", bevor sie zu Hause ankommen. Was auch immer drin ist: Hier zu Hause freuen sich Familien und Freunde über ein Lebenszeichen von den Soldaten im Auslandseinsatz.
Anne Kampf ist Redakteurin bei evangelisch.de und zuständig für Gesellschaft und Politik.