Todesangst: Libyen lässt US-Reporter frei

Todesangst: Libyen lässt US-Reporter frei
"Erschießt sie", hieß es, als die vier Journalisten der "New York Times" in Libyen in eine Kontrolle der Gaddafi-Truppen gerieten. "Nein, sie sind Amerikaner", war die Antwort. Jetzt sind die Reporter wieder frei - und erzählen von sechs Tagen in Todesangst.
23.03.2011
Von Chris Melzer und Gisela Ostwald

Sie wurden geschlagen, sexuell belästigt und mit dem Tod bedroht: Am Ende aber ließ Libyen die vier Journalisten der "New York Times" wieder frei. Sechs Tage waren die drei Männer und eine Frau in der Gewalt von Soldaten und Funktionären des libyschen Staatschefs Muammar al-Gaddafi. Während US-Kampfflieger schon ihre Bomben auf Gaddafis Truppen abwarfen, verhandelten libysche Behörden mit dem US-Außenministerium über die Freilassung. Mit Erfolg: Am Montag wurden die Vier von Tripolis an türkische Diplomaten übergeben, noch am selben Tag gelangten sie sicher über die Grenze nach Tunesien, wie die Zeitung am Dienstag berichtete.

"Wir dachten alle, jetzt ist es vorbei"

Die Journalisten waren am Dienstag vergangener Woche bei Recherchen in Libyen verschwunden. Anfangs bestritt die libysche Führung ihre Festnahme und versprach, bei der Suche nach den "Vermissten" zu helfen. Erst am Freitag bestätigte Gaddafis Sohn Saif al-Islam, dass sich die Reporter in der Hand der Regierung befanden: "Sie sind illegal in das Land gekommen, und als die Armee Adschdabija von den Terroristen befreit hat, wurden sie als Ausländer festgenommen."

Tatsächlich waren die "Times"-Reporter in Adschdabija versehentlich in eine Kontrolle der Gaddafi-Truppen geraten. Sie wurden aus ihrem Wagen gezogen, auf den Boden geworfen und mit Gewehren bedroht, während die Aufständischen auf sie und auf Gaddafis Soldaten feuerten. "Ich hörte auf Arabisch: Erschießt sie", berichtete einer von ihnen im ersten Telefoninterview der Zeitung. "Wir dachten alle, jetzt ist es vorbei." Doch andere Soldaten hätten widersprochen: "Nein, sie sind Amerikaner. Wir können sie nicht umbringen".

"Heute Nacht müsst ihr sterben"

So wurden sie gefesselt, geschlagen, erniedrigt und bedroht. "Alle Männer, die mit uns in Kontakt waren, tasteten jeden Zentimeter meines Körpers ab", berichtete die Journalistin. Immer wieder wurde ihnen gesagt, "heute Nacht müsst ihr sterben". Auch von Tod durch Köpfen war die Rede. Erst als die Kämpfe mit den Aufständischen nachließen, wurden die "Times"-Reporter weitertransportiert. Sie landeten in einer Zelle mit schmutzigen Matratzen, etwas Wasser und einer Flasche für den Urin. Weitere drei Tage vergingen, bis die Verhandlungen zwischen Washington und Tripolis endlich zu ihrer Freilassung führte.

Bei den vier Reportern handelt es sich um den Beiruter Büroleiter der "New York Times", Anthony Shadid, den Wortredakteur Stephen Farrell sowie den Fotografen Tyler Hicks und seine Kollegin Lynsey Addario. Shadid ist zweimal mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet worden, der wichtigsten Auszeichnung für Journalisten in den USA. Alle vier waren erfahrene Berichterstatter aus Krisengebieten, als sie von Ägypten aus über die Grenze nach Libyen gingen, um über den Kampf der Aufständischen gegen Gaddafi zu berichten.

Der Brite Farrell war sogar schon zweimal entführt worden. Im Irak kam er 2004 nach acht Stunden wieder frei. Fünf Jahre später wurde er in Afghanistan bei den Wracks jener Tanklastzüge verschleppt, die auf Anforderung eines Bundeswehroffiziers in der Nähe von Kundus bombardiert worden waren. Farrell wurde von einem britischen Sonderkommando befreit; sein Dolmetscher und ein Soldat starben.

dpa