Ex-Chef der Reaktoraufsicht: Situation auf der Kippe

Ex-Chef der Reaktoraufsicht: Situation auf der Kippe
Japan steht nach Experteneinschätzung dicht vor einer atomaren Katastrophe. Wenn im Atomkraftwerk Fukushima nicht rasch die Probleme mit der Kühlung gelöst würden, drohe ein Super-GAU, sagte der ehemalige Leiter der Abteilung für Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium, Wolfgang Renneberg. Brennstäbe drohen zu zerschmelzen und mehrere Reaktorbehälter könnten durch Hitze, Druck, Gase und gestiegene Radioaktivität zerstört werden. "Das ist im Augenblick eine Situation auf der Kippe", so Renneberg.
13.03.2011
Die Fragen stellte Georg Ismar

Was genau ist in Fukushima passiert?

Renneberg: Erstens ist das Kühlsystem ja ausgefallen, das ist völlig unstrittig. Zweitens scheint es aber sehr sicher zu sein, dass es eine Kernschmelze gegeben hat. Das geht erstens hervor aus den Verlautbarungen der Atomaufsichtsbehörde dort, die ja auch nicht dementiert worden ist. Auf der anderen Seite ergibt sich das aus den gemessenen radioaktiven Belastungen außerhalb der Anlage. Die sind nicht zu erklären, wenn man nicht von größeren Kernschäden ausgeht, und diese Kernschäden können dann ja auch nur durch Kernschmelzen verursacht worden sein. Und dann gibt es die noch nicht ganz beantwortete Frage, ob der Sicherheitsbehälter noch dicht ist. Ich gehe mittlerweile davon aus, dass der Sicherheitsbehälter doch noch intakt ist und insofern der größtmögliche Schaden noch nicht eingetreten ist.

Droht in Fukushima ein Super-GAU, zumal es in gleich zwei Reaktoren Kernschmelzen geben könnte?

Renneberg: Super-GAU ist ja noch kein technisch definierter Begriff, sondern man meint damit im sonstigen Sprachgebrauch einen Kernkraftwerksunfall mit einer vollen Freisetzung der gesamten Radioaktivität, die im Reaktor drinnen ist. Das scheint hier nach dem jetzigen Stand noch nicht vorzuliegen. Und insofern gibt es immer noch eine Chance, diesen Fall zu vermeiden, wenn die Kühlung aufrechterhalten werden kann. Eine verlässliche Prognose kann man natürlich nur dann treffen, wenn man jetzt genau wüsste, was mit dem Reaktor los ist. Es kann auch sein, dass man hier nur Zeit gewinnt und dann der Reaktor, der Sicherheitsbehälter, doch durchschmilzt. Das ist im Augenblick eine Situation auf der Kippe. Eine derartige Situation mit solchen Mehrfachblockanlagen, wo Reaktoren auf gleiche Weise geschädigt sind und in denen die Kühlung ausfällt, ist bisher so noch nicht aufgetreten.

Was kann man tun, damit ein zweites Tschernobyl noch abgewendet werden kann?

Renneberg: Im Reaktor selbst kann man dann wenig ausrichten. Dann kann man nur noch das tun, was in Tschernobyl auch passiert ist, nämlich das man versucht, auf irgendwelche Weise Sand und Materialien über diese Schmelze zu bekommen und sie soweit wie möglich von der Umwelt abzuschirmen, wie das eben noch geht. Das ist natürlich erst dann zu Ende, wenn die Radioaktivität in dieser Kernschmelze abgenommen hat. Das dauert dann bestimmt noch viele Tage, bis das soweit ist. Solange wird dann das Problem andauern - und radioaktive Stoffe werden freigesetzt. (Foto: dpa)

Was kann für Japans Bürger getan werden?

Renneberg: Man kann Jodtabletten ausgeben, das passiert bereits in Japan. Dadurch wird Jod in der Schilddrüse angereichert und es kann sich das aus dem Reaktor entwichene radioaktive Jod, nicht mehr in der sonst ablaufenden Weise festsetzen. Die radioaktive Belastung wird vermindert.

Was bedeutet das für die deutschen Atommeiler?

Renneberg: Es ist sinnvoll, nun eine Sicherheitsüberprüfung der Anlagen zu machen, aber diese muss sich am Stand von Wissenschaft und Technik orientieren. Das ist bisher nie der Fall gewesen. Die Bundesregierung wird sich daran messen lassen müssen, ob sie tatsächlich den Stand von Wissenschaft und Technik, der heute anzulegen ist, anwendet. Sonst besteht auch die Gefahr, dass das nur zur Beruhigung der Bevölkerung geschieht. Es gibt Parallelen, wenn man sich ansieht, welche Schwierigkeiten in Japan Aufsichtsbehörden und Betreiber haben, die Kühlung bereitzustellen. Es gibt beispielsweise bei den alten Reaktoren, und dazu gehören Biblis A und beispielsweise Neckarwestheim, im Gegensatz zu den neueren Anlagen weniger Kühlmittelreserven. Das heißt, irgendwann geht das Kühlmittel aus. Dann kann man eben auch nicht einfach weiter Wasser nehmen, weil Wasser die Kernreaktion erstmal anheizt und nicht dazu dient, den Reaktor zu kühlen. Das liegt einfach daran, dass die Neutronen sich dann so verhalten, das sie mehr Spaltungen im Kern verursachen.

dpa

Wolfgang Renneberg leitet heute das private Büro für Atomsicherheit.