Der Auslandskorrespondent – ein Auslaufmodell?

Der Auslandskorrespondent – ein Auslaufmodell?
Die deutschen Regionalzeitungen erreichen 80 Prozent der deutschen Zeitungsleser. Bei Krisen wie jetzt in Libyen stoßen sie aber oft an ihre Grenzen. Brennpunkte wie Libyen rücken die Rolle von Auslandskorrespondenten in das Blickfeld. Doch gerade die Berichterstattung der deutschen Regionalzeitungen über diese Krise zeigt, an welche Grenzen das Metier stößt. Die Globalisierung und das Internet verändern massiv die Bedingungen, unter denen Auslandskorrespondenten arbeiten. Sie verlieren an Einfluss, Exklusivität und Prestige.
05.03.2011
Von Ralf Siepmann

Gaddafis Militärjets fliegen Einsätze gegen Demonstranten. Augenzeugen berichten von Prügeleien brutaler Söldner aus anderen afrikanischen Ländern, die der selbsternannte Revolutionsführer gegen sein eigenes Volk auf den Plan gerufen hat. Solche Eindrücke prägten zunächst die Nachrichtenlage aus Libyen. Wie umfassend und wie dicht am Geschehen die Nachrichtenagenturen überhaupt aus der – offiziell - Sozialistischen Libysch-Arabischen Volksrepublik berichten konnten und können ist eine andere Frage. Hintergründe über das Land zwischen Abgrund und Zukunftshoffnung, seine Bevölkerungs- und Sozialstruktur, sind ohnehin kaum zu finden. Insbesondere nicht in den deutschen Lokal- und Regionalzeitungen. Immerhin sind sie es, die gut 80 Prozent aller Leser von Tageszeitungen erreichen.

Rainer Kurlemann, Chefredakteur von RP Online, des reichweitenstarken Internetportals der "Rheinischen Post" in Düsseldorf, erläutert: "Für die Redaktion ist die Berichterstattung über Libyen besonders schwierig. Es arbeiten ja praktisch keine Korrespondenten im Land." Anders als beim Aufstand gegen Mubarak in Ägypten könne man auch nicht über Facebook auf Kontakte zu Deutschen im Land zurückgreifen. Nicht zuletzt sei das Sozialsystem Libyens auch viel problematischer: "Es gibt eben nicht wie in Ägypten politische Parteien, die man beobachten und deren Zielsetzungen man analysieren kann."

Krisenberichterstattung aus zweiter Hand

Der Krisenherd Libyen macht gleich mehrfach deutlich, welche Probleme mit der Wiederspiegelung eines Teils der Welt in der Auslandsberichterstattung hiesiger Zeitungen verbunden sind. Washington, New York, Moskau, London und Paris bildeten über Jahrzehnte die DNA der internationalen Politik. Für die Platzierung der Auslandsbüros ist die historisch gewachsene Struktur auch viele Jahre nach Überwindung des Ost-West-Gegensatzes noch immer ausschlaggebend. Die Staaten Nord- wie Zentralafrikas erscheinen ebenso wie die geostrategisch eminent an Bedeutung gewinnenden Länder Mittelasiens und Lateinamerikas kaum auf der Weltkarte der Korrespondentenbüros. Oder sind gar völlige weiße Flecken.

Krisenberichterstattung wie im Falle Libyens wird hier von anderen Plätzen geleistet, zumeist von Kairo aus, gleichsam aus zweiter Hand. Eine kontinuierliche mediale Vermittlung solcher Länder, die auf die Analyse von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft setzt und Prozesse in den Blick nimmt, also sich nicht nur auf akute Konflikte beschränkt, gibt es in diesen Regionen nicht.

Eine nachhaltige Auslandsberichterstattung durch eigene Korrespondenten können sich auch die anspruchsvollen Zeitungshäuser unter den über 300 deutschen Lokal- und Regionalzeitungen schon lange nicht mehr leisten. Sie ist praktisch nur noch bei den überregional agierenden Tageszeitungen anzutreffen. Diese Verlage leisten sich die teuren Auslandsbüros - vergleichbar ARD und ZDF - als journalistisches Qualitätsmerkmal und zur Profilierung ihrer Medienmarke. Die "Süddeutsche Zeitung" zum Beispiel unterhält allein 20 Korrespondentenplätze auf vier Kontinenten. Die Auslandsberichterstattung der Regionalzeitungen wird dagegen von "Poollösungen" bestimmt, deren Finanzierung sich mehrere Verlage teilen.

Das Salz im Einheitsbrei kommt aus frei zugänglichen Quellen

Prototyp ist der Korrespondent, der ständig mehrere Titel beliefert, also, wie man früher sagte, einen "Bauchladen" führt. Bei Markus Günther zum Beispiel, bis 2009 Korrespondent in Washington, heute Chefredakteur der "Augsburger Allgemeinen", waren dies bis zu 16 Zeitungen. Unter solchen Bedingungen tendieren die Chancen einer Redaktion, den Korrespondenten durch eine originäre Themenbeauftragung für eine eigene Note und damit zur Differenzierung gegenüber Marktkonkurrenten zu gewinnen, gegen Null.

Auslandsberichterstattung also ein Einheitsbrei? Kurlemann zufolge ist das Team von RP Online in der Libyen-Krise dazu übergegangen, parallel zur Sichtung des Materials der Nachrichtenagenturen Fernsehprogramme mit einem speziellen Fokus auf das Konfliktgebiet in das Blickfeld zu nehme und in die journalistische Arbeit mit einzubinden, Al-Dschasira und CNN vor allem. Jede zusätzliche Informationsquelle sei willkommen, auch wenn, wie Kurlemann einräumt, "leider niemand bei uns Arabisch spricht". So konnten am vorvergangenen Freitag (25. Februar) die User von RP Online eine Abendzusammenfassung von Politik-Redakteurin Dana Schülbe im Netz lesen, ergänzt um den Zusatz "mit Agenturmaterial".

"Feste Korrespondenten sind verzichtbar"

Nicht nur die Globalisierung sorgt dafür, dass die einst starren Grenzen zwischen Innen und Außen fließend werden. Auch die digitale Medienrevolution verändert das Genre massiv. Horst Seidenfaden, Chefredakteur der "Hessisch/Niedersächsischen Allgemeinen" (HNA) in Kassel, macht dies deutlich: "Die Ereignisse werden von den Agenturen genauso abgedeckt wie von nationalen Zeitungen. Die sind alle im Internet verfügbar und somit aus Deutschland auszuwerten."

Im Falle der Rettung der Bergleute in Chile im letzten Oktober habe ein des Spanischen kundiger Redakteur die Websites der Zeitungen des Landes ausgewertet und dies in die Berichterstattung der "HNA" einfließen lassen. Seidenfadens Schlussfolgerung: "Das schnelle Reagieren auf Ereignisse überall auf der Welt macht feste Korrespondenten komplett verzichtbar. Das ist ein aussterbender Beruf, zumindest für Regionalzeitungen."


Ralf Siepmann ist Medienjournalist und freier Autor in Bonn.