Herzklopfen und Champagner: Raumtransporter startet zur ISS

Herzklopfen und Champagner: Raumtransporter startet zur ISS
Der 200. Ariane-Start sollte ein schönes Jubiläum werden. Doch erst beim zweiten Versuch klappt das Spektakel im Dschungel. In der Spitze der Rakete: der europäische Raumtransporter "Johannes Kepler", der in Bremen gebaut worden ist.
17.02.2011
Von Irena Güttel

Ein greller Blitz erhellt den Nachthimmel. Dann kündigt ein entferntes Grollen den Start der Rakete an. Der Boden bebt unter den Füßen. Schließlich hebt die Ariane 5-Rakete am Mittwochabend vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana ab - erst langsam, dann immer schneller.

Ihr 200. Flug ist es inzwischen. Und als wollte es die europäische Trägerrakete zum Jubiläum besonders spannend machen, hob sie erst einmal gar nicht ab. Am Dienstagabend musste das Kontrollzentrum den Start wegen technischer Probleme abbrechen und um einen Tag verschieben. Ein Ventil war falsch eingestellt, so dass zu viel flüssiger Sauerstoff in den Tank gelangte.

Sieben Tonnen Proviant und Post für die ISS

Die Techniker haben das Problem zwar behoben, die Anspannung ist vor dem zweiten Anlauf trotzdem hoch. "Da ist immer ein Risiko dabei", sagt Klaus Sell. Seit etwa sieben Jahren arbeitet der Deutsche auf dem Weltraumbahnhof. Jetzt leitet er zum ersten Mal im Kontrollzentrum den Start einer Ariane-Rakete. Keine Sekunde lassen er und seine Mitarbeiter die vielen Monitore aus den Augen, auf denen Diagramme und Zahlen zu sehen sind. Auf drei Digitalanzeigen an der Wand läuft der Countdown. Noch bleiben einige Stunden.

Doch nicht nur auf der Erde, auch auf der Internationalen Raumstation ISS fiebern alle dem Raketenstart entgegen. In ihrer Oberstufe befördert die Ariane den europäischen Raumtransporter "Johannes Kepler" ins All, in dessen Frachtraum mehr als sieben Tonnen Proviant, Ausrüstung und Post für die sechs Besatzungsmitglieder stecken. Auch einige Sonderwünsche sind dabei: Minz-Schokolade, Sardinen, Thunfisch mit thailändischen Gewürzen und Knusperriegel. Monatelang hatten rund 150 Techniker und Ingenieure das in Bremen gebaute Raumschiff für den Flug ins All vorbereitet.

"Jeder Astronaut braucht sechs Kilo Nahrung pro Tag", erläutert Simonetta Di Pippo, die für bemannte Raumfahrt zuständige Direktorin bei der Europäischen Weltraumbehörde ESA. Allerdings liegt das nicht daran, dass die Crew so unheimlich viel isst. Die Zahlen beruhen vielmehr auf einer großzügigen Kalkulation der ESA, damit die Vorräte auf der Raumstation lange genug reichen.

Aus fünf Kilometern sieht man die Rakete noch

Reisebusse kutschieren zahlreiche Schaulustige über den 750 Quadratkilometer großen Weltraumbahnhof. Vorbei an Schützenpanzern und Geländewagen, mit denen Fremdenlegionäre auf dem Gelände Patrouille fahren, geht es über eine schnurgerade Betonpiste auf eine Aussichtsplattform in der Nähe der Abschussrampe. Selbst aus fünf Kilometern Entfernung ist die Rakete mit bloßen Augen gut zu erkennen. 46 Meter hoch ragt sie in den Himmel und wirkt zwischen dem grünen Dickicht des Dschungels wie von einem anderen Stern.

Touristenführer verteilen Faltblätter, die über Vorsichtsmaßnahmen informieren. Darin ist zu lesen: "Nach dem Start kann es abhängig vom Wetter zu unangenehmem sauren Regen kommen. Das Gelände wird dann zur Ihrer Sicherheit evakuiert." Danach zeigen die jungen Frauen, wie man eine Gasmaske richtig aufsetzt. Diese sind zwar erst nötig, wenn die Rakete explodiert - was seit 1996 nicht mehr passiert ist. Doch sicher ist sicher.

Christopher Rider kann es kaum erwarten. "Ich bin eigentlich nicht so der Raumfahrt-Fan, aber das hier ist schon aufregend." Der Franzose verbringt seinen Urlaub im Nordosten Südamerikas. Den Start wollte er sich nicht entgehen lassen.

Acht Tage bis zur Raumstation

Noch 30 Sekunden, auf der Aussichtsplattform halten die Zuschauer den Atem an. Bis auf das Zirpen der Grillen ist kein Geräusch zu hören. Dann zünden die Turbinen. Laut steigt die Rakete in die Höhe, einen dicken Rauchschweif hinter sich her ziehend. Oranges Licht erleuchtet den dunklen Himmel. Dann verschwindet die Rakete hinter den Wolken. Mit lautem Applaus feiern die Zuschauer das Spektakel.

Klaus Sell und sein Team können nach stundenlanger Anspannung endlich aufatmen. Ihre Arbeit ist damit getan. Etwa eine Stunde nach dem Abflug wird die Ariane-Rakete das Versorgungsschiff in 260 Kilometern Höhe absetzen. Acht Tage später soll es an der Raumstation festmachen. Doch all das müssen jetzt andere überwachen. Im Kontrollzentrum in Kourou köpfen die Mitarbeiter bereits die Champagnerflaschen. "Das ist Tradition", erklärt Sell.

Dreieinhalb Monate soll der Transporter im All bleiben. Am Ende der Mission kehrt er beladen mit Müll zurück und verglüht in der Atmosphäre. Doch das spielt jetzt keine Rolle, in Kourou wird diese Nacht gefeiert.

dpa