Arm und Reich sprechen nicht die gleiche Sprache

Arm und Reich sprechen nicht die gleiche Sprache
In Ägypten entlädt sich die Wut auf den Präsidenten Husni Mubarak auf der Straße. Aber wer protestiert dort? Es sind nicht die Armen. Manche von ihnen nutzen die Unruhen, um sich zu bereichern. Zwischen den politischen Protestierern und den armen Ägyptern auf der Straße klafft ein Graben.
30.01.2011
Von Anne-Beatrice Clasmann

"Wir werden dafür sorgen, dass Husni Mubarak abhaut, und dann wird schon alles gut werden", sagen junge Demonstranten, die sich am Sonntag in kleinen Gruppen auf dem Tahrir-Platz in Zentrum von Kairo zusammengefunden haben. "Aber was ist mit den Plünderungen und den entlaufenen Verbrechern, die jetzt überall auf den Straßen herumlaufen?", fragt sie eine ägyptische Journalistin. "Ach, ich glaube, diese Berichte sind doch übertrieben", behauptet ein junger Demonstrant. Die Journalistin ist entsetzt. "Wie kann man nur so naiv sein", sagt sie.

Chalid Baligh, der in Kairo lebt und mit seiner Familie im Nil-Delta einen großen Bauernhof bewirtschaftet, gehört auch zu denjenigen die es gut finden, für mehr Demokratie und Menschenrechte zu kämpfen. Doch auch er ist entsetzt, dass die protestierenden Jugendlichen, die zum Großteil zur Mittelschicht gehören, nicht verstehen, dass ungebildete Verbrecher das aktuelle Machtvakuum jetzt benutzen, um sich zu bereichern.

"Der Graben ist sehr, sehr tief"

Einige derjenigen, die jetzt mit Stöcken und Messern durch die Straßen von Kairo ziehen, wollen sich auch rächen - an der Polizei, aber zum Teil auch an den Reichen und den Angehörigen der Mittelschicht, auf deren Lebensstil sie mit einer Mischung aus Neid und Verachtung blicken. Weil sich Plünderer vor ihrem Haus versammelten, rief eine Frau das Polizeirevier an. Der Polizist am anderen Ende der Leitung machte auf drastische Weise deutlich, dass er keine Beamten schicken will: "Ihr wollt demonstrieren? Dann bekommt ihr das."

Nur wenige der Demonstranten haben bisher verstanden, dass auch sie selbst für die kriminellen Elemente ihrer Gesellschaft ein Angriffsziel darstellen könnten. "Der Graben zwischen diesen verschiedenen Teilen unserer Gesellschaft ist einfach sehr, sehr tief", sagt Baligh. Die eine Seite kennt und versteht die andere Seite nicht.

Auch der Kairoer Ibrahim, der in der Hauptstadt als Chauffeur arbeitet, glaubt, dass die protestierenden Aktivisten, die sich anfangs über das Internet zu Demonstrationen verabredet hatten, keine Ahnung haben, wie ihre ärmeren Mitbürger über sie denken. "Wer in einem der besseren Viertel lebt, für den sind die Putzfrau, der Fahrer und der Hausmeister, die von ihrer Familie bezahlt werden, meist der einzige Kontakt zur Schicht der sozial Benachteiligten, von denen die meisten in illegal errichteten Siedlungen leben."

Politische Köpfe der Opposition sind auf Tauchstation

Baligh hofft, das die Demonstranten, die durch ihre Proteste dafür gesorgt haben, dass das Militär Mubarak nun Schritt für Schritt einen Teil seiner Macht entzieht, jetzt konkrete politische Forderungen stellen. Das Militär solle sich gleichzeitig darum kümmern, die öffentliche Ordnung wieder herzustellen, sagt Baligh, der auch in seinem Viertel in der vergangen Nacht immer wieder Schüsse gehört hat. "Sie sollten sagen: Ändert die Verfassung, Mubarak darf nicht mehr kandidieren, und das Parlament soll möglichst bald neu gewählt werden. Und dann geben sie der Führung einen Monat Zeit, um zu beweisen, dass sie bereit ist, dies umzusetzen." 

Doch die politischen Köpfe der Opposition sind seit Samstag alle auf Tauchstation gegangen. Es ist eine Zeit, in der jeder vor allem an sich selbst und die Sicherheit seines Zirkels denkt. Wer noch einen kühlen Kopf hat, fragt sich derweil, wie die tausenden von Kriminellen freikommen konnten, die am Wochenende aus den großen Gefängnissen südlich und nördlich von Kairo entkommen konnten. Noch ist nicht klar, ob die Gefängniswärter wegliefen, ob sie von den Häftlingen überwältigt wurden, oder ob sie vielleicht bewusst in die Freiheit entlassen wurden, um Anarchie und Panik zu verbreiten.

Die Frage bleibt, wer dadurch einen Vorteil hätte. Diejenigen Ägypter, die Präsident Mubarak und seine Berater alles Schlechte zutrauen, vermuten dahinter sogar ein Komplott, angezettelt, damit sich die Armee und Teile der politischen Führung als Retter in der Not präsentieren und so weiter an Macht festhalten können.

dpa