Wulff erinnert in Auschwitz an die bleibende Verantwortung

Wulff erinnert in Auschwitz an die bleibende Verantwortung
Mehr als eine Million Menschen wurden im Konzentrationslager Auschwitz von den Nazis ermordet. Am Mittwochnachmittag hielt Christian Wulff als erster Bundespräsident an diesem Ort des Schreckens eine Rede.
27.01.2011
Von Ruppert Mayr und Jacek Lepiarz

Schrecken und Betroffenheit steht Bundespräsident Christian Wulff ins Gesicht geschrieben. Er ist das erste Mal in Auschwitz-Birkenau, dem schlimmsten Vernichtungslager der NS-Zeit. "Es ist vielleicht der schwierigste Ort, an den man sich als Deutscher begeben kann", sagt er am Donnerstag zum 66. Jahrestag der Befreiung des Lagers. "Der Name Auschwitz steht wie kein anderer für die Verbrechen Deutscher an Millionen von Menschen."

Wulff spricht als erster Bundespräsident in der Gedenkstätte in Auschwitz - es ist eine kurze Rede. Zwar lang genug, um klarzumachen, dass es auf deutscher Seite keinen Zweifel an der Verantwortung für das Unfassbare, Unsagbare, Unbeschreibliche gibt. Aber auch kurz genug, um jeglichen Anschein von Ausreden zu vermeiden. Wulffs Vorgänger hatten an diesem Ort Schweigen vorgezogen. 

"Keine Aussöhnung ohne Kenntnis der Geschichte"

Vertreter jüdischer Organisationen begleiten Wulff. Darunter ist die frühere Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, und ihr Nachfolger, Dieter Graumann. Ihr Amtswechsel steht für den Übergang von der Kriegs- zur Nachkriegsgeneration. "Ich war bislang noch in keinem Vernichtungslager", sagt Graumann. "Und dann gleich Auschwitz, das mit meiner ganzen Familiengeschichte so düster und dramatisch verbunden ist."

Auschwitz-Birkenau war das größte Konzentrationslager der Nationalsozialisten. Aus der Gegend von Auschwitz (Polnisch: Oswiecim) kommt Joanna. Sie glaubt, die jungen Deutschen wüssten kaum noch etwas über das Vernichtungslager. Daher freue sie sich, dass Freiwillige aus Deutschland, Österreich oder der Ukraine Praktika an der internationalen Jugendbegegnungsstätte machten, um zu lernen.

Wulff und der polnische Präsident Bronislaw Komorowski sind sich einig: Sie wollen das Wissen der Jugendlichen über diesen Teil der Geschichte vertiefen. "Es gibt keine Aussöhnung, wenn man die Geschichte, wenn man die Wahrheit nicht kennt", mahnt Komorowski in einem Gespräch der beiden Präsidenten mit den Jugendlichen in dem Ort 60 Kilometer westlich von Krakau. 

Gebäude vom Verfall bedroht

Der Bundespräsident wird bei seinem Besuch in Auschwitz auch von Überlebenden des Konzentrationslagers begleitet. Viele gehen inzwischen auf die neunzig zu. Der ehemalige polnische Außenminister, Wladyslaw Bartoszewski, Jahrgang 1922, der als junger Mann aus dem Lager in Auschwitz fliehen konnte, mahnt: "Unser Zeugnis und unsere Berichte werden bleiben." Der Ort des Gedenkens müsse aber erhalten bleiben: "Die Blöcke, die Baracken, die Rampe und die Ruinen von Gaskammern und Krematorien sowie die den Ermordeten geraubten Dinge - Koffer, Schuhe, Brillen, Zahnbürsten."

Je weniger Überlebende noch persönlich berichten könnten, umso wichtiger würden schriftliche, fotografische und filmische Zeugnisse und der Erhalt der Erinnerungsstätten, vor allem der Gedenkstätte Auschwitz, sagt auch Wulff.

Viele historische Gebäude sind aber 66 Jahre nach Kriegsende vom Verfall bedroht; die Leitung des Museums hatte bereits vor zwei Jahren um Hilfe gebeten. Für die Erinnerungsstätte in Auschwitz-Birkenau sollen deshalb insgesamt 120 Millionen Euro bereitgestellt werden. 60 Millionen Euro kommen aus Deutschland, je zur Hälfte von Bund und Ländern. Für die andere Hälfte wollen andere Staaten wie etwa Österreich oder die USA aufkommen.

"Der Name Auschwitz steht auch für den Holocaust an einer halben Millionen Sinti und Roma", sagt der Vorsitzende ihres Zentralrats, Romani Rose. Seine Rede in Auschwitz weist auch nach Berlin, wo zum Holocaust-Gedenken im Bundestag mit Zoni Weisz erstmals ein Vertreter dieser größten ethnischen Minderheit in Europa reden durfte. Ein gutes Signal für Sinti und Roma, die lange darum kämpfen mussten, dass ihr Schicksal unter den Nazis zur Kenntnis genommen wurde.

dpa