Bundeswehr-Einsatz: Welches Recht gilt in Afghanistan?

Bundeswehr-Einsatz: Welches Recht gilt in Afghanistan?
Der Bundestag stimmt an diesem Freitag über eine Verlängerung des Afghanistan-Mandats der Bundeswehr ab. Zurzeit sind dort fast 5.000 deutsche Soldaten stationiert. Für sie ist es in dem Einsatz oft schwer zu entscheiden, wann sie gegen wen Waffengewalt anwenden dürfen. - Eine rechtliche Bewertung.
26.01.2011
Von Stefan Oeter und Anna Gebhardt

Rufen wir uns die (berechtigte) Aufregung um die Bezeichnung des ISAF-Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan in Erinnerung: Da war zunächst einmal Verteidigungsminister a. D. Jung, der sich beharrlich weigerte, das Kind beim Namen zu nennen. Gefeiert wurde der neue Verteidigungsminister zu Guttenberg für die Bezeichnung "kriegsähnliche Zustände", und jüngst ist durch Außenminister Westerwelles Äußerung im Bundestag auch von offizieller Seite klar: Es handelt sich um einen bewaffneten Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts.

Dieser Feststellung kommt dabei keineswegs eine verbindliche Wirkung zu. Maßgebend ist allein die unabhängige Bewertung des Geschehens durch die Gerichte. Nichtsdestotrotz ist eine genaue Einordnung für die Rechts- und Handlungssicherheit, insbesondere auch der Soldatinnen und Soldaten unerlässlich. Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage nach der rechtlichen Bedeutung dieser Kategorisierung auf: Welches sind die rechtlichen Grundlagen für ein Handeln der Streitkräfte im Auslandseinsatz und welchen Bindungen unterliegen sie? Welche Folge hat die Einordnung für die strafrechtliche Bewertung? Finden die Grundrechte Anwendung? Welcher Umgang mit dem Feind ist nach humanitärem Völkerrecht verpflichtend?

Je nach Einordnung ist der Waffengebrauch zulässig

Der Begriff des Krieges existiert im völkerrechtlichen Sprachgebrauch nicht mehr. Er wurde durch den Begriff des bewaffneten Konflikts ersetzt, bei dem zwischen dem internationalen und dem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt unterschieden wird. Dass es sich in Afghanistan um einen bewaffneten Konflikt handelt, kann kaum bezweifelt werden. Während der internationale bewaffnete Konflikt zwischen zwei oder mehreren Völkerrechtssubjekten stattfindet, liegt ein nicht-internationaler Konflikt bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen einem Staat und bewaffneten Gruppen auf dem Territorium eines Staates vor.

In Zeiten des Friedensvölkerrechts sind die Befugnisse der Streitkräfte auf lediglich polizeiliche Maßnahmen beschränkt: Nur bei unmittelbaren Gefährdungssituationen darf die Waffe zur Notwehr oder Nothilfe eingesetzt werden, ein darüber hinausgehender Waffengebrauch ist unzulässig. Dagegen lässt die Einordnung als bewaffneter Konflikt weitergehende Maßnahmen und auch einen größeren Einschätzungsspielraum der Kommandeure zu, gerade im Hinblick auf sogenannte zulässige Kollateralschäden.

International oder nicht-international?

Um welche Art von Konflikt handelt es sich nun in Afghanistan? Die ISAF-Truppen sind zur Unterstützung der afghanischen Regierung im Land. Ihr Auftrag ist in erster Linie die Unterstützung der afghanischen Regierung bei der Herstellung und Wahrung der inneren Sicherheit. Auch wenn die Taliban ursprünglich als de facto Regierung partielle Völkerrechtssubjektivität besessen haben und man den Konflikt vor ihrem Sturz als internationalen bewaffneten Konflikt einordnen wird, handelt es sich wenigstens seit Amtsantritt der Regierung unter Karzai um einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt, da nunmehr die ISAF-Streitkräfte auf Einladung der Regierung Karzai im Land sind.

Rechtsgrundlage für das Mandat der deutschen Streitkräfte im Rahmen der ISAF ist in völkerrechtlicher Hinsicht das Mandat des Sicherheitsrats. Die verfassungsrechtliche Legitimation wird durch den Beschluss des deutschen Bundestags nach dem Parlamentsbeteiligungsgesetz erteilt. Diesen sehr generell gehaltenen Ermächtigungen ("alle erforderlichen Maßnahmen einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt") werden Grenzen durch das humanitäre Völkerrecht gesetzt.

Zivilisten werden zu "Teilzeitkämpfern"

Normativer Ausgangspunkt des humanitären Völkerrechts ist die Unterscheidung Kombattant/militärisches Ziel gegenüber dem Zivilisten/ziviles Ziel. Während der Kombattant rechtmäßig Gewalt ausüben darf und legales militärisches Ziel ist, zudem von dem Privileg der Straffreiheit und dem Status als Kriegsgefangener profitiert, sind Zivilisten unter allen Umständen zu schützen.

Diese Unterscheidung findet sich aber nur im internationalen bewaffneten Konflikt. Im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt sind Aufständische statusmäßig Teile der Zivilbevölkerung. Eine gezielte Tötung ist nur dann zulässig, wenn die Aufständischen, sogenannte irreguläre Kämpfer, sich direkt an den Feindseligkeiten beteiligen. Sie legen dann gleichermaßen den Mantel des Schutzes der Zivilbevölkerung ab. Die von ihnen ausgeübte Gewalt kann außerdem strafrechtlich verfolgt werden.

Hier wird der Unterschied zum Kombattantenstatus also sehr deutlich. Gleichzeitig ergeben sich hieraus gleich mehrere Fragestellungen. Einigkeit herrscht nur insoweit, als dass es sich konstruktiv um einen situationsbedingten und nicht personenbezogenen Status handelt. Fraglich ist zunächst, ob die Ausschlussklausel nur bei Beteiligung an den feindseligen Akten gilt, also in unmittelbar räumlichem und zeitlichem Zusammenhang - mit der Konsequenz, dass sie bei Rückkehr in die zivile Deckung wieder zu voll geschützten Angehörigen der Zivilbevölkerung werden.

Bekämpfen oder verhaften? 

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz ist mit seiner "Interpretive guidance on the notion of direct participation in hostilities" einen Mittelweg gegangen: Für einen engen Kernbereich der "professionellen" Kämpfer, die in eine militärähnliche Struktur von ständig kampfbereiten Verbänden integriert sind, gilt ein kombattantenähnlicher Status. Die Mitglieder dieser professionellen Kampfverbände sind legitime militärische Ziele, solange sie als Mitglieder dieser Verbände agieren und dürfen jederzeit gezielt bekämpft werden.

Alle anderen Aufständischen unterliegen hingegen dem sehr engen Verständnis der "direct participation in hostilities", die letztlich nur während der eigentlichen Teilnahme an Kampfhandlungen greift, sowie bei unmittelbarer Vorbereitung und in direktem zeitlichem Zusammenhang zu der eigentlichen Kampfhandlung. Das bedeutet: Selbst wenn die Streitkräfte der gegnerischen Konfliktpartei mit Sicherheit zu wissen meinen, dass es sich bei konkreten Einzelpersonen um derartige Teilzeitkämpfer handele, sind sie nicht legitimiert, diese gezielt zu töten. Sie dürfen einzig versuchen, diese der Teilhabe am bewaffneten Widerstand verdächtigen Personen zu verhaften und als Gefahrenpotenzial zu internieren.

Die Rechtslage bleibt unklar

Was bedeutet diese Einordnung nun für die strafrechtliche Bewertung? Die Tötung eines irregulären Kämpfers, der sich im oben dargestellten Sinn an Feindseligkeiten beteiligt, ist dem Grund nach rechtmäßig. Einschränkungen können sich freilich unter anderem aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Gebot der militärischen Notwendigkeit ergeben. Sie stellen allgemeine Grundsätze des humanitären Völkerrechts dar. Im Friedensvölkerrecht hingegen wäre eine gezielte Tötung rechtswidrig, da eine Ermächtigung zum Handeln nach polizeilichen Maßstäben nur zur Selbstverteidigung oder Nothilfe zulässig ist. Die strafrechtliche Bewertung dieses Sachverhalts richtete sich nach dem Strafgesetzbuch.

Mit der Einordnung als bewaffnetem Konflikt ist dagegen die Anwendbarkeit des Völkerstrafgesetzbuches eröffnet. In Bezug auf die Tötung von Zivilisten bedeutet die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts außerdem, dass sie rechtlich hingenommen werden muss, wenn sie begleitend als Kollateralschaden durch einen Angriff auf militärische Ziele, der der Verhältnismäßigkeit und militärischen Notwendigkeit entspricht, eintritt.

Eines steht nun zumindest auch von Regierungsseite her fest: Deutschland befindet sich in einem bewaffneten Konflikt. Von einer Klärung der Rechtslage, gerade hinsichtlich der Menschenrechtsverpflichtungen, kann jedoch noch nicht die Rede sein.


Prof. Dr. iur. Stefan Oeter (l.) ist Professor für Öffentliches Recht, Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht an der Fakultät für Rechtswissenschaft an der Universität Hamburg.

Anna Gebhardt ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Rechtswissenschaft an der Universität Hamburg.