Pfarrerin wechselt vom Ruhrgebiet an den Bosporus

Pfarrerin wechselt vom Ruhrgebiet an den Bosporus
Pfarrerin Ursula August aus Marl wird im Februar das Pfarramt der deutschsprachigen Gemeinde in Istanbul übernehmen. Sie spricht bereits türkisch und interessiert sich für den interreligiösen Dialog. In der Türkei wird Ursula August als Christin einer Minderheit angehören.
16.01.2011
Von Bettina v. Clausewitz

"Unsere Pastorin wird die erste evangelische Patriarchin in Istanbul", heißt es scherzhaft in der Stadt-Kirchengemeinde von Ursula August in Marl. Mit der westfälischen Theologin wird am 1. Februar erstmals eine Frau die Leitung der traditionsreichen Evangelischen Gemeinde deutscher Sprache in der Türkei übernehmen. Eine sensible Aufgabe, für die die 50-jährige Theologin über Jahrzehnte Erfahrungen gesammelt hat, zuletzt als Islambeauftragte des Kirchenkreises Recklinghausen.

"Der interreligiöse Dialog hat mich schon immer interessiert," erzählt Ursula August, in deren Gemeindegebiet vier Moscheegemeinden liegen. Grund genug für sie, den Dialog auf Augenhöhe zu suchen. "Deshalb habe ich schon für meine Arbeit in Marl türkisch gelernt, nicht erst für Istanbul", berichtet sie.

Vom Ruhrgebiet an den Bosporus, von der 90.000 Einwohner-Stadt in eine 18 Millionen-Metropole, vom christlichen Abendland in eine muslimische Welt mit weniger als einem Prozent Christen: Die pragmatische Theologin freut sich ganz offensichtlich auf diese Herausforderung. "Dort ist die Situation spiegelverkehrt zu der der Muslime in Deutschland, dann sind wir in der Minderheit", sagt sie.

In der "Passage" eine Heimat schaffen

Einfach mal was Neues ausprobieren und auf Fremde zugehen, das hat sie immer wieder gereizt - ob in der Christlich-Islamischen Arbeitsgemeinschaft CIAG in Marl, als Mitbegründerin des interreligiösen Abrahamsfestes oder als Gastgeberin des ersten Kirchenasyls in Marl für eine kurdische Familie in ihrem Pfarrhaus. Auch der Dialog ist für die Theologin August keine akademische Angelegenheit. Das hat sie in den 80er und 90er Jahren im Dialogforum beim Kirchentag praktiziert und als Landespfarrerin für Frauenarbeit in Dresden, wo sie ehrenamtlich in der Asylarbeit war.

In Istanbul wird sie wiederum ein neues Kapitel aufschlagen, diesmal auch im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die sie bei den Patriarchaten und Bischofssitzen vertritt. Ihre rund 200 Mitglieder zählende Gemeinde besteht vor allem aus Familien von deutschen Firmen- und Botschaftsangehörigen. Das sei eine "klassische Passage-Gemeinde", bei der die Menschen kommen und gehen, aber die Pfarrerin bleibt. Vorgenommen hat sie sich, in dieser Situation religiöse Beheimatung zu schaffen und die Gemeinde für die religiöse Landschaft ringsum zu öffnen.

Ein Anliegen, das viel Fingerspitzengefühl erfordert, denn der Rechtsstatus der christlichen Kirchen in der Türkei ist problematisch, auch für die einheimischen armenischen, griechisch- oder syrisch-orthodoxen Gemeinden. Das ist eins von vielen Themen der interkonfessionellen Ökumene, in der die evangelische Theologin ein weiteres Aufgabenfeld sieht.

"Übergriffe und Morde sind ein Skandal"

Die Kirchen stehen gemeinsam vor der Situation, dass sie keine offiziellen Verträge abschließen, Grundstücke kaufen und bauen, oder theologischen Nachwuchs ausbilden können. Es gebe jedoch schon einige gute Schritte auf dem Weg zu mehr Rechtssicherheit, erzählt sie.

Mit Sorge beobachtet sie Attacken in islamischen Ländern gegen Christen. "Diese Übergriffe und Morde sind ein Skandal und müssen aufgeklärt werden," fordert sie. Und man kann sich vorstellen, dass Ursula August auch gegenüber offiziellen Stellen in der Türkei bei aller Diplomatie kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es um Religionsfreiheit und Menschenrechte geht.

In der nächsten Zeit geht es für Ursula August und ihren Mann, den Sozialwissenschaftler Rainer Volz, in Istanbul erst einmal darum, alle Kisten in der Pfarrwohnung auszupacken, die im ehemaligen Christenviertel Beyoglu im alten Schulhaus ist. "Ein schöner Bau, aber viel Erneuerungsbedarf, so wie überall im Viertel", sagt die Pfarrerin. 

epd