Der Protest gegen Thilo Sarrazin wird närrisch

Der Protest gegen Thilo Sarrazin wird närrisch
Mit seinen Thesen zu Islam und Integration hat Thilo Sarrazin im vergangenen Jahr für heftige Debatten gesorgt. Jetzt streiten sogar die Mainzer Narren über den Ex-Bundesbanker. Am Sonntag demonstrierten rund 550 Menschen - mehr als doppelt so viele wie laut Polizeiauskunft - gegen einen Fastnachtsauftritt des umstrittenen SPD-Politikers bei der örtlichen "Ranzengarde".
02.01.2011
Von Bernd Buchner

Mainz, wie es singt und lacht. Es ist ein buntes Völkchen, das sich an diesem sonnigen Winternachmittag vor dem Hauptbahnhof der Narrenhochburg versammelt: Jugendliche und Ältere, gestandene Gewerkschafter und gutgekleidete Bürgerliche, Händchenhalter und Kinderwagenschieber, Studierende und Werktätige, Teetrinker und Stehbierkonsumenten, Fahnenschwenker und Transparentträger, geborene Deutsche und Menschen mit - wie man heute sagt - Migrationshintergrund. Sie alle eint, dass sie mit den Thesen von Thilo Sarrazin nicht einverstanden sind. Deswegen gehen sie demonstrieren.

Die Rede vom Untergang Deutschlands

Sarrazin ist in der Stadt am Rhein kein Unbekannter, in den 1990er Jahren war er rheinland-pfälzischer Finanzstaatsseketär. Seit er von "Kopftuchmädchen" spricht und vom Untergang Deutschlands, hat er es zu fragwürdiger nationaler Prominenz gebracht. Die Thesen des Finanzwirtschaftlers zur Erblichkeit von Intelligenz und zur Integrationswilligkeit von Türken und Arabern werden von vielen als menschenverachtend kritisiert. Die Mainzer "Ranzengarde", ein traditionsreicher Karnevalsverein, sieht das anders: Sie hat Sarrazin bereits vor zwei Jahren ihren Ehrenpreis verliehen, an diesem Sonntag nun soll er die Laudatio auf seinen Nachfolger halten, den Musikkabarettisten Lars Reichow.

Auch das ist Tradition bei der Ranzengarde: Der Vorgänger hält die Lobrede auf den Nachfolger als "Ranzengardist". Von daher gesehen stand Sarrazin also bereits seit zwei Jahren als Laudator fest. Er wurde etwa nicht eingeladen, weil er "Deutschland schafft sich ab" geschrieben hatte.

Allerdings hatte sich der "Generalfeldmarschall" der Garde, der ehemalige rheinland-pfälzische CDU-Chef Johannes Gerster (auf dem Bild oben neben Thilo Sarrazin, Foto: dpa) im Vorfeld betont positiv über Sarrazins Thesen geäußert - und gab damit kritischen Fragen nach der politischen Ausrichtung der "Ranzwanzgarde" ("Süddeutsche Zeitung") neue Nahrung. Auch Preisträger Reichow fand nichts dabei, sich von dem Ex-Bundesbanker belobigen zu lassen.

"Für doof erklärt"

Die am Hauptbahnhof versammelten Menschen finden Sarrazin allerdings nicht witzig. "Rassismus ist keine Meinung, sondern Feigheit und Verbrechen", steht auf dem Plakat von Kaya. Der 44-jährige Maschinenbauingenieur, lebt seit seiner Jugend in Deutschland. Sarrazin habe zwar die Probleme richtig benannt, sagt er, doch seine Lösungen seien falsch. Auch Klara (18) aus Wiesbaden will zeigen, dass sie mit Sarrazinzs Ansichten nicht einverstanden ist. Es sei falsch und fatal, Menschen aufgrund ihrer Nationalität "für doof zu erklären", so die Schülerin, die bei der Grünen-Jugend aktiv ist.

Die von dem SPD-Politiker aufgeworfenen Fragen seien überhaupt nicht tabu, erläutert Murat (Foto links), der ebenfalls aus Wiesbaden kommt. Schon seit geraumer Zeit werde darüber gesprochen. "Alle wissen, dass es Probleme gibt", so der 18-Jährige. Er kritisiert aber vor allem die Art und Weise, wie Sarrazin seine Thesen vorbringt. "Damit hat er Migranten sehr verletzt. Das ist auch menschenverachtend." Auf seinem Plakat hat Murat Sarrazins Buchtitel "Deutschland schafft sich ab" um ein Wort abgewandelt. "Deutschland schafft sich neu" steht dort zu lesen.

Diskussionen mit Sarrazin-Befürwortern

Mehdi Jafari Gorzini vom Mainzer Migrationsbeirat hält Sarrazin in seiner Rede einen "verengten Begriff von Intelligenz" vor. Er betrachte die Welt aus einem "rassistischen Krähwinkel".

Zu der Demonstration unter dem Motto "Lieber Gutmensch als Schlechtmensch!" hat ein breites Bündnis aufgerufen, darunter der Mainzer Grünen-Kreisverband und die rheinland-pfälzische DGB-Jugend. Schon am Bahnhof kommt es zu kleinen Wortgefechten, Sarrazin-Befürworter nehmen sich dabei kein Blatt vor den Mund. Aber die Stimmung bleibt sachlich und friedlich.

Während des Zuges durch die Mainzer Innenstadt geht es sogar ausgesprochen fröhlich zu - schließlich sind viele Demonstranten in närrische Kostüme geschlüpft, tragen bunte Kostüme und Hüte. Es ist die fünfte Jahreszeit, da lässt man sich von bizarren Buchautoren nicht jeden Spaß verderben und dreht ihnen gerne eine rote Nase. Straßenschilder werden mit launigen Aufklebern verziert: "Dummheit ist vererbbar - Kein Sex mit Thilo Sarrazin!" Rund 550 Menschen ziehen durch die Straßen, wie eine Zählung von evangelisch.de ergibt; die Polizei hatte lediglich die Zahl 250 genannt. Unterwegs singt ein Bänkelsänger die "erschröckliche Moritat vom Scheich Sarrazin", der besser in Dubai aufgehoben sei als in Deutschland. Das Liedchen wird es wohl nicht unter die Top Five der diesjährigen Fassenachtsschlager schaffen.

Kleinere Rangeleien am Schloss

Am Schloss angekommen, wo wenig später die Preisverleihung der Ranzengarde beginnen soll, ist nicht nur die Sonne weg, auch die Stimmung zickt jetzt ein bisschen. Auf den barocken Bau werden vereinzelt Schneebälle geworfen.

Die Festbesucher müssen an einem Nebeneingang direkt an den Demonstranten vorbei (Foto links), es kommt zu kleineren Rangeleien - einigen Ranzengardisten wird die Narrenkappe vom Kopf gezogen. Böse Worte fallen. Da hört dann für die Organisatoren der Demonstration der Spaß auf: "Ich will, dass es hier friedlich zugeht", tönte es aus dem Lautsprecher. "Keine Schneebälle, kein Geschubse."

Derweil postieren sich einige der Demonstranten am Haupteingang auf der Rheinseite. Die Festgäste, die alle etwas feist und pikiert aussehen, müssen hier vorbei. Kaya, der sein Plakat tapfer hochhält, bekommt von einem sehr alten Ranzengardisten zu hören: "Wenn Du im Krieg gewesen wärst, wüsstest Du, was Feigheit ist!" Wen er nicht zu sehen bekommt, ist Sarrazin. Der Ex-Bundesbanker war durch einen anderen Eingang, weitab aller Proteste, ins Schloss gebracht worden. Generalfeldmarschall Gerster hieß den Gast willkommen und ließ sich brav ein Buch signieren. Mainz, wie es singt und lacht.


Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und zuständig für das Ressort Kirche + Religion.