Die Angst feiert mit: Heiligabend bei Soldaten-Familien

Die Angst feiert mit: Heiligabend bei Soldaten-Familien
Vor zwei Jahren mussten alle Soldaten Stollen, Punsch und Geschenke liegenlassen, um Schutz vor Angriffen zu suchen. Wie Soldatenfamilien während des Afghanistan-Einsatzes den Heiligabend erleben.
16.12.2010
Von Dieter Sell und Matthias Dembski

Wenn Heiligabend kommt, gehen die Gedanken von Susanne Sperling auch in das etwa 5.000 Kilometer entfernte afghanische Kundus. Denn während sie mit ihren beiden Töchtern von neun und zwölf Jahren im niedersächsischen Ganderkesee Weihnachten erlebt, ist ihr Ehemann im Auslandseinsatz am zentralasiatischen Hindukusch. Einer von derzeit knapp 4.700 Bundeswehrsoldaten in Afghanistan. Es wird kein leichter Heiligabend für die 41-Jährige, denn die Angst feiert mit.

Es ist die Angst um ihren Mann, der noch bis ins nächste Jahr in Afghanistan ist und demnächst seinen 50. Geburtstag feiert. Es ist auch die Angst um seine Kameraden, die ihr durch den Kopf geht. Und die Hoffnung, dass alles friedlich bleibt und die radikal-islamischen Taliban keine Raketen auf das Bundeswehr-Feldlager schießen. Denn vor zwei Jahren mussten alle Soldaten Stollen, Punsch und Geschenke liegenlassen, um Schutz vor dem Angriff zu suchen.

Nur nicht zu sehr ins Grübeln kommen, das hat sich Susanne Sperling für den Heiligabend vorgenommen. "Ich habe die ganze Familie eingeladen, damit alle zusammen sind und ich schön viel zu tun habe", denkt sie voraus.

Mehr als 40 Bundeswehrsoldaten starben in Afghanistan

Allein zu sein, das spüren die Angehörigen in der Heimat stärker als die Soldaten im Einsatz, sagt der Oldenburger Oberstabsarzt Mathias Lippa. Der 31-jährige Ehemann und Vater von drei Kindern hat vergangene Weihnachten als Chef einer Sanitätskompanie in Afghanistan verbracht. Die Lage habe sich verändert, sagt er: "Wir stehen in Kampfsituationen. Wenn man auf schlechten Wegen in abgelegenen Gegenden unterwegs ist, lauert die Gefahr überall. Das steht den Angehörigen natürlich vor Augen."

Die Soldaten, die über Weihnachten in Kundus stationiert sind, haben zumindest einen Vorteil: Vom Klima her ist es die angenehmste Zeit in Afghanistan. Während im Sommer Hitze und Staub die Soldaten plagen und im Frühjahr der Regen das Lager in eine Schlammwüste verwandelt, ist es in den ersten Wintermonaten relativ mild und trocken.

Trotzdem werden die Soldaten jetzt wohl besonders nachdenklich sein. Das Ansehen des Westens hat neun Jahre nach dem Sturz des Taliban-Regimes einer Umfrage zufolge in der afghanischen Bevölkerung ein neues Tief erreicht. Dazu nahm die Gewalt stark zu. Allein in diesem Jahr wurden vier Soldaten aus der Fallschirmjägerkaserne im niedersächsischen Seedorf getötet, zu der auch der Mann von Susanne Sperling gehört. Bisher starben mehr als 40 Bundeswehrsoldaten in Afghanistan.

In dieser Situation hilft es den Ehefrauen wenig, wenn Nachbarn oder Angehörige sagen, ihre Männer hätten die Gefahr doch gekannt, als sie sich für die Truppe verpflichteten. Soldatenfrauen unter sich dagegen wissen von den Nöten, von der Furcht vor schlechten Nachrichten.

"Das Schlimmste ist, wenn an Heiligabend die Tür aufgeht und der Tannenbaum steht da", sagt Monika Slieter. Sie gehört zusammen mit Susanne Sperling zu einem Frauenkreis, der über die Militärseelsorge zueinander gefunden hat und untereinander Kontakt hält. "Das bringt viel", betont die 52-Jährige.

Kaum Festtagsstimmung bei "Gottesburg"

Je länger die Männer in Afghanistan sind, desto mehr kommen zu Hause Ängste und Sorgen hoch. "Umso wichtiger ist die persönliche SMS zwischendurch: Es geht mir gut, alles in Ordnung", blickt Oberstabsarzt Lippa zurück. Auch mit Briefen und über Telefon halten die Soldaten Kontakt, obwohl sie ihren Frauen selten erzählen, was passiert, um sie nicht zu beunruhigen. "Das braucht er auch gar nicht - ich höre doch an seiner Stimme, was los ist", sagt Susanne Sperling.

"Gottesburg", so heißt der Kirchenbereich im Bundeswehrlager Kundus, wo abends der Weihnachtsgottesdienst gefeiert wird - aufgrund der Zeitverschiebung dreieinhalb Stunden früher als in Deutschland. Doch trotz Gänsekeule und Kartoffelsalat kommt zu Weihnachten kaum Festtagsstimmung auf. Etliche Soldaten seien im Dienst, erinnert sich der evangelische Militärseelsorger Karsten Wächter, der 2009 in Kundus war.

Vielen ist das lieber, weil sie dann abgelenkt werden. Zumindest in dieser Beziehung fühlen sie genauso wie ihre Angehörigen daheim. Die Bedrohung ist allgegenwärtig, auch dieses Gefühl verbindet Soldaten und Angehörige. Weihnachten mit der Vision eines weltumspannenden Friedens sei in Afghanistan "sperrig", formuliert der Koblenzer Militärpfarrer Wächter und fragt: "Aber was soll man tun, wenn man auf gemeinste Weise angegriffen wird, obwohl man mit der Absicht kam, etwas für die Sicherheit und den Wiederaufbau zu tun?"

epd